Die Queen lernt lesen

18. January 2010 | von

The Uncommon Reader / Die souveräne Leserin, Alan Bennett / Ingo Herzke

bennett_die_souveraene_leserinEines Tages entdeckt Elisabeth II. an einer abgelegenen Ecke des Palastes den Bücherbus der Bezirksbibliothek. Wir haben einen Bücherbus, informiert sie daraufhin ihren Gatten. (Der bei den Briten durchaus zutreffend den Ruf eines groben, deutschen Klotzes genießt.) Es gibt noch Wunder, lautet seine belanglose Antwort. Und genau so kommt es dann auch.

Die Queen lernt lesen, ein Buch nach dem anderen verschlingt sie. Und die Queen lernt denken, oh Wunder. Sehr zum Unbill ihres Privatsekretärs – Sir Kevin aus Neuseeland – und ihres Hofstaates. Die Queen beginnt, ihre repräsentativen Aufgaben zu vernachlässigen. Nicht sehr, eigentlich kaum sichtbar, aber dennoch spürbar. Für Sir Kevin vor allem. Die Queen wird unberechenbar. Sie stellt die falschen Fragen, im falschen Moment. Sie bringt Menschen aus dem Takt, egal, ob es sich um den Premierminister oder ein, in Anbetracht der bevorstehenden Begegnung mit dem königlichen Geblüt völlig aufgelöstes, namenloses Untertan handelt. Die Queen benimmt sich überall ein klein wenig daneben.

Zwischen ihren Pflichten zieht sich die Queen immer häufiger in ihr Buch zurück; ja, sogar auf den endlosen Wegen zu ihren diversen Auftritten, gehört fortan ein Buch einfach dazu. Nach einer Weile ist bei Elisabeth überraschend ein Zuwachs an Mitgefühl zu verzeichnen, gepaart mit einer ganz neuen Art von Eigensinn. Die von Kevin, dem Neuseeländer, mit aller gebotenen Vorsicht angesprochen, aber dennoch eindeutig als Selbstsucht betitelt wird. Als die Queen darüber hinaus auch noch damit beginnt, sich beim Lesen Notizen zu machen, wird sie sogar verdächtigt, etwas so Gewöhnliches wie Alzheimer zu entwickeln.

Das ist nicht neu, wir wissen es alle. Es geschieht etwas mit den Menschen, wenn sie anfangen, sich durch Literatur zu arbeiten. Wie auch immer die geartet sein mag, die Menschen verändern sich. Sie betreten andere Welten und vergessen sich selbst, wenn sie Glück haben. So auch die Queen, die sich bei ihrer Lektüreauswahl übrigens von Norman Seakins, einem schwulen Küchenjungen, leiten lässt. Was sicherlich nicht die schlechteste Wahl ist, schließlich ist Elisabeth, was das Lesen angeht, zunächst einmal nur eine armselige Anfängerin. So sind ihre Erkenntnisse rund um das Lesen mitunter auch ein wenig banal. Information ist das Gegenteil von Lesen, findet sie irgendwann heraus. Lesen ist kein Zeitvertreib, bringt sie an einer anderen Stelle zum Ausdruck. Außerdem läse sie, weil sie sich verpflichtet fühle, die Menschen zu ergründen. Nun ja, das ist ehrenvoll aber harmlos. Da bleibt leider einiges an der Oberfläche. Da es sich jedoch um die Queen handelt, eine steinalte Dame, der nicht gerade der Ruf einer ebenso klugen wie herzlichen Lady vorauseilt, soll uns das genügen. Womöglich ist es sogar mehr als zu erwarten wäre, würde die einst reichste Frau Englands – inzwischen übertrumpft von J. K. Rowling, einer Art Märchentante – tatsächlich das Lesen entdecken.

Die souveräne Leserin ist ein kleines Buch, ein Büchlein sozusagen, das sich ohne Probleme an einem Abend vernaschen lässt. Oder auf der Bahnstrecke Berlin–>Hannover–>Köln–>Bonn vielleicht, schließlich ist Elisabeth durchaus eine politische Figur. Als werdende und wachsende Leserin fordert sie die Mächtigen heraus, zu denen sie ja ungehinderten Zugang genießt. Als Proustverehrerin und mögliche Schreiberin, weist sie letztendlich gar die Macht von sich. (Was eventuell der heimliche Traum etlicher Briten ist.)

Einstellen sollte man sich auf jeden Fall auf die wohl feinste Art englischen Humors. Köstlicher Klamauk à la Monty Python wird hier nicht präsentiert, vielmehr bedient sich Bennett einer wohltemperierten Form der Absurdität. Humor, bei dem nicht laut gelacht wird, höchstens einmal kurz aufgeatmet. Einmal! Keinesfalls zweimal, versteht sich. Das muss reichen, ohne dem Amüsement auch nur einen Hauch von Klasse zu nehmen. Very British.

Ein Lob verdient außerdem die offensichtlich gelungene Übersetzung von Ingo Herzke, die sich nicht zuletzt in dem auf ganz eigene Art treffsicheren deutschen Titel zeigt.

4 Responses to “Die Queen lernt lesen”

  1. engl @ absurdum » Blog-Archiv » Die Queen lernt lesen Says:

    [...] weiter im common reader « [...]

  2. ryuus Hort» Heißer Lesetip Says:

    [...] “Lesebefehl” liefe dem Charakter des Buches zuwider, daher nur: Wärmste Empfehlungen, die Kritik und eventuell sogar “The Uncommon Reader” selbst zu [...]

  3. Bähr Says:

    Ich bin gerade das erstmal hier am lesen dabei und frage mich – ich hoffe nicht allzu blöd – ist denn der Name des Blogs gar keine Anspielung auf den Titel dieses Buches, wie ich sofort annahm? Da es ja erst am 18.1.2010 hier besprochen wird? Ja kann denn sowas sein?

  4. engl Says:

    Nein, der Name dieses Blogs ist keine Anspielung auf das hier besprochene Buch. Er bezieht sich vielmehr auf einen Text von Virginia Woolf, der den Titel “The Common Reader” trägt. Darauf wiederum – denke ich – bezieht sich auch der Titel “The Uncommon Reader” von Alan Bennett.

    Einen Zusammenhang gibt es also irgendwie schon, nur keinen direkten.