Kristof Magnusson: Das war ich nicht

21. January 2010 | von

Jasper Lüdemann ist ein deutscher Aktienhändler an einer Bank in Chicago. Er will einem Kollegen aus der Klemme helfen, verspekuliert sich dabei aber und macht reichlich Verluste für seine Bank.
Henry LaMarck ist ein berühmter Schriftsteller, der nun schon zum zweiten Mal für den Pulitzerpreis nominiert ist. Dummerweise hat er irgendwann behauptet, er schriebe an einem Roman über den 11. September, tatsächlich steckt er aber in der Krise und schreibt gar nicht. Sein Chicagoer Verlag wartet, ebenso wie der deutsche Verlag, auf das Manuskript.
Meike Urbanski ist seine deutsche Übersetzerin, die gerade aus ihrem immer bürgerlicher werdenden Leben in Hamburg geflohen ist und sich ein heruntergekommenes Häuschen in Friesland gekauft hat. Sie ist pleite und braucht dringend das Manuskript von Henry LaMarck.
Diese drei erzählen im Wechsel, und zwar so (jeweils der Anfang):

Jasper
„Guten Morgen, Sir. Wie geht es Ihnen?“
„Gut“, sagte ich. Was sogar der Wahrheit entsprach. Es ging mir gut, obwohl ich die ganze Nacht mit den Kollegen durch irgendwelche Londoner Bars gezogen war. Das erzählte ich der Stewardess natürlich nicht. Dabei hätte ich eigentlich gern jemandem erzählt, was in den letzten Tagen passiert war.

Meike
Jetzt musste ich mich nur noch daran gewöhnen, dass es hier richtig schön war. Ich musste mich daran gewöhnen, dass diese Haustür meine Haustür war, und dahinter kein nach Putzmittel riechender Hausflur, keine Kinderwagen, kein von weggeschmissenen Werbeprospekten überquellender Plastikeimer, sondern nur meine blauen Schuhe auf den braunen Natursteinfliesen im Vorflur. Dies war ich in meinem neuen Leben.

Henry
Ich sollte mich wirklich schämen. Schämen solltest du dich, Henry LaMarck! Auf jeder anderen Party wäre es im Rahmen des gesellschaftlich Akzeptierten gewesen, sich sang- und klanglos davonzustehlen, doch auf der Party zu meinem eigenen sechzigsten Geburtstag war es das sicher nicht.

Tut er aber, er stiehlt sich davon und verschwindet. Der Verlag sucht nicht nach ihm, daher fliegt Meike schließlich auf eigene Faust nach Chicago. Wo sie in einem Café Jasper kennenlernt. In ebendiesem Café lernen sich auch Jasper und Henry kennen – Henry verliebt sich in Jasper, Jasper sich in Meike, Meike aber will nur das Manuskript, das es nicht gibt.
Alle drei stecken in der Sackgasse. Jasper hat sich verspekuliert, versucht, dagegen an zu spekulieren und reitet sich immer weiter rein. Meike ist aus der Bürgerlichkeit abgehauen, hat jetzt aber keine Arbeit und auch sonst nichts. Und Henry hat Schreibblockade und weiß nicht, wie er damit umgehen soll. Zudem kennen sich jetzt alle drei, wissen aber jeweils nicht, dass die anderen beiden sich auch kennen.
Sehr schöne Ausgangssituation, und es wird auch alles sehr liebevoll beschrieben, es gibt zauberhafte Szenen und Ideen, aber restlos begeistert kann ich nicht sein. Dafür gibt es mir doch zu große Plausibilitätsschwächen – dass Meike nach Chicago fliegt zum Beispiel, erschließt sich überhaupt nicht. Zweitens kann ich Geschichten nicht leiden, in denen sich jemand immer tiefer in was reinreitet, weil er sich nicht traut, einen kleinen Fehler zu gestehen oder ein Missverständnis aufzuklären. Es nervt mich, wenn eine Figur selbst wissen muss, dass es immer nur schlimmer werden kann, sich aber einredet … nee, nichts für mich, aber das ist natürlich mein Privatdings und kann nicht als echte Kritik gelten. Und drittens möchte ich Sätze wie „Ich startete den Internet-Browser“ 2010 nicht mehr lesen.
Das Ende ist schließlich so fernsehfilmhaft dick aufgetragen, dass mir dann doch der Verdacht kommt, Magnusson habe das alles nicht sehr ernst gemeint – eher als Spiel, als Augenzwinkern. Das wiederum gefällt mir, ich bin nur nicht sicher, ob es wirklich so ist. Fazit: das ist ein gutes Buch, durchaus, ich weiß nur nicht recht, wie ich mit den Einschränkungen umgehen soll. Ansonsten wird es übrigens allenthalben bejubelt, zum Beispiel von Katy.

Kristof Magnusson steht im Regal zwischen Nagib Machfus und Bernard Malamud.

3 Responses to “Kristof Magnusson: Das war ich nicht”

  1. roland (ronsens) Says:

    Mein Gefallensfazit ungefähr ähnlich. Lustigerweise dachte ich nach Lektüre auch “wäre vermutlich eine gute Grundlage für ein Fernsehfilm-Drehbuch”, weil: ist ja hübsch wie die drei Personen, so jeweils dieselben Steps durchgehen und das parallel geschaltet ist usw. Ich finde es aber gerade nicht “liebevoll beschrieben”, sondern teilweise eher so hottehü schnellschnell runtergeschrieben. Es wird ja auch im Buch durch eine Person ein Plädoyer genau für solcherart Schreiben gehalten.

    Ich melde mich aber wegen deines persönlichen Einwandes: verstehe ich jetzt überhaupt nicht! Weil: lehnst du ab, weils dich zu sehr an eigenes erinnert oder weil du das halt persönlich auch so gar nicht ab kannst. Jedenfalls ist es alles andere als realitätsfern.

    Wenn ich dir mal ein Buch nennen darf, dass du dann überaus hassen müsstest, also eigentlich Unsinn, aber egal: Amok von Emmanuel Carrere

  2. Isa Says:

    Ja, ich weiß, dass es nicht realitätsfern ist, aber ich kann sowas auch im Privaten tatsächlich nicht ab. Lila Lila von Martin Suter ist, glaube ich, auch so (ist schon eine Weile her) – da findet einer ein Manuskript, und bevor er aufklären kann, dass er das gar nicht selbst geschrieben hat, wird er damit berühmt, geht auf Lesereise etc, und je länger er nichts sagt, desto weniger kann er es sagen, klar, und ich kann. das. nicht. ab., es macht mich total kribbelig und ich möchte die Leute schütteln und aufwecken. Und ja, ich weiß, dass das mein Privatdings ist.
    (Mit “liebevoll beschrieben” meine ich sowas wie das Verhalten der Übersetzerin, die auf dem Stadtplan nachguckt, ob es die Straßenkreuzung, die der Autor beschreibt, überhaupt gibt, und ihn dann fragt, was sie machen soll, denn die Kreuzung gibt es nicht, und er bekommt die Krise, weil seine Übersetzerin alles besser weiß … hihi. Fällt vielleicht doch eher unter “gut beobachtet.”)

  3. roland (ronsens) Says:

    gut beobachtet – das lasse ich mir gefallen (beim lesen musste ich verschiedentlich an einige meiner übersetzerfreunde denken).