Überschätzte Bücher. Heute “Rituale” von Cees Nooteboom.

2. February 2010 | von

Seit Jahren gellt’s in meinen Ohren: „Den Nooteboom – den musst du lesen. Den Nooteboom, den Nooteboom!“ So griff ich vor ein paar Wochen endlich vor einer Suppenküche in eine Wühlkiste und fischte „Rituale“ (Suhrkamp, Hardcover, übersetzt von Hans Herrfurth) heraus, ein Buch, dessen Titel mir Wohlmeinende beinahe wöchentlich einflüstern und das Nooteboom selbst als sein „opus magnum“ bezeichnet. Der Autor kann nichts dafür, dass die ständigen Lobgesänge meine Skepsis hartherzig werden ließen, wohl aber kann er etwas dafür, diese Härte nicht in Milde, die Skepsis nicht in Begeisterung überführt zu haben.

Erzählt wird die Geschichte von Inni Wintrop, einem Grachten-Casanova, Spekulations-Strolch und üppig erbenden Parvenü, der sich umbringen will, weil ihn seine Zita verlassen hat. Natürlich reißt der Strick.

Erzählt wird auch die Geschichte von Arnold Taads, einem Griesgram, der nur zu seinem Hund eine Art Beziehung unterhält, sein Leben auf die Minute genau durchplant und der am Ende natürlich wundervoll metaphorisch im Eis erfriert.

Erzählt wird schließlich auch von Philip Taads, der den Weltekel ebenso kultiviert wie der Herr Papa, sich dabei aber weit deutlicher dem Selbstekel und damit dem Asiatisch-Spirituellen öffnet. In einem weißen Raum sitzt er und brütet über japanischen Teeschalen und -zeremonien. Natürlich bringt auch er sich um. Natürlich zerbricht er vorher eine sehr kostbare Teeschale.

Inni Wintrop, der all dies sieht, während ihm ein allwissender und zu scherzhaften Bemerkungen aufgelegter Erzähler über die Schulter schaut, ist am Ende natürlich ein bisschen weiser und lässt fortan die Hände vom Strick: „Es gab somit unverkennbar zwei Welten, eine, in der die beiden Taads sich aufhielten, und eine, in der sie abwesend waren, und zum Glück befand er sich noch in der letzteren.“ Potzblitz.

Der Roman will viel und bringt wenig. Er ist ein wenig ein Sittengemälde des angeschlagenen Amsterdamer Bürgertums um 1960 und 1970, er ist ein wenig eine laien-philosophische Betrachtung über die Geworfenheit des Menschen in ein undurchschaubares Sein, dem man sich nun stellen oder entziehen, das man zulassen oder durch Rituale zu kontrollieren suchen kann. Auch geht es so ein bisschen um die Unzuverlässigkeit der Erinnerung, das Verlogene des Narrativen, die wacklige Konstruktion von Sinn, um Angst vor dem Altwerden, holländisches savoir-vivre, Sex als unbewusste Sinnsuche und um anderes, was sich schick in einem so richtig literarischen Buch macht,  einem Buch von dem Reich-Ranicki sagen kann „Ein poetischer Roman, in dem die Erotik im Mittelpunkt steht.“ Aber das hat er ja auch schon über das halbseidene Murakami Bändchen „Gefährliche Geliebte“ verlautbaren lassen.

Die Charaktere sind am Reißbrett entworfene Pappkameraden, die Handlung konstruiert, die Sprache so, wie sie sein muss, wenn jemand mit viel Talent Autor spielt. Es handelt sich um einen Schein-Roman von einem Schein-Autoren geschrieben für Scheinleser und Scheinleserinnen.

Zum Schluss einige Auszüge:

„Durch Männer, doch das würde er erst sehr viel später sagen können, lernt man, wie die Welt ist, durch Frauen jedoch, was sie ist.“

„Die Bar war lang und dunkel, bestimmt für Börsenjobber und Provinzler, ein schlechtes Publikum, das zu spießig war, zu den Huren zu gehen, und zu knauserig, sich eine Freundin zu halten, und statt dessen im götterdämmernden Licht der schottengemusterten Bar auf den sehr großen, weißen Busen in Lydas Ausschnitt glotzte.”

Von innen bin ich völlig grün,  sagte sie regelmäßig.“

„Die Erinnerung ist wie ein Hund, der sich hinlegt, wo er will…Ein Gedicht von Bloem hatte er auch noch gelesen, aber welches, das wusste er nicht mehr. Der Hund, dieses eigenwillige Tier, versagte in dieser Hinsicht völlig.“

Tiere sind straight. Tiere haben keine Slogans.“

Wem diese Auszüge gefallen, wer sogar einen tiefen Sinn darin erahnt, dem empfehle ich dieses Buch. Denn: Spaß macht es schon, wenn etwas nicht einfach schlecht ist, sondern eine gar nicht üble Imitation des Guten. Aber eben nur eine Imitation, in der jedoch, um es mit Cees Nooteboom oder Xavier Naidoo zu sagen, wie in jedem Schein ein Sein aufleuchten kann.

9 Responses to “Überschätzte Bücher. Heute “Rituale” von Cees Nooteboom.”

  1. alex Says:

    mit dem buch quäle ich mich auch schon seit längerem rum, danke für die rezension, das weiterlesen erspar ich mir jetzt wohl. was ich nooteboom bzw. seinen übersetzern nie verzeihen werde, ist dass ich zweimal dasselbe buch von ihm gekauft habe, ohne es zu merken. es ist sein erstes, einmal als “das paradies ist nebenan”, dann als “philip und die anderen” (das ist auch der originaltitel in holländisch). ganz schön dreist. fast schon überflüssig zu sagen, dass dieses buch mich tödlich gelangweilt hat. obwohl ich jugendliche tramperliteratur normalerweise liebe. was mich nur wundert, wieso hat nooteboom den nobelpreis noch nicht? er wäre der erste holländer, oder?

  2. Isa Says:

    (Nur kurz die Übersetzer in Schutz nehmen: die haben meist wenig Einfluss auf den Titel. Der wird irgendwo im Verlag entschieden, bei Unterhaltungsliteratur macht das die Marketingabteilung, bei Anspruchsvollerem weiß ich’s nicht, aber der Übersetzer darf höchstens ein bisschen mitreden. (Ausnahmen bestätigen usw.))

  3. Fabrice Pi Says:

    Nooteboom ist sehr lesenswert – aber nicht “Rituale”.

  4. Anselm Says:

    Lieber Fabrice: Mit welchem Buch vom Nooteboom sollte ich wohl mein Mütchen kühlen?

  5. Fabrice Pi Says:

    Probieren Sie mal “Philip und die anderen”, das ist auch nicht so dick, wenn es Ihnen doch ebenfalls nicht zusagt.

  6. Fabrice Pi Says:

    Es hat mir aber noch jedes andere wesentlich besser gefallen als “Rituale” …

  7. Meletos Says:

    Cees Noteboom ist wahrscheinlich einer der Autoren, welche die Jugend ansprechen, aber über die man sich als erwachsener Mensch nur noch wundert, wenn nicht entsetzt. Mich hat “Die folgende Geschichte” als Schüler begeistert. Inzwischen finde ich das beschriebene Verhältnis zwischen Lehrer und Schülerin (über die man kaum etwas erfährt) richtig ekelhaft. – Man traue keinem Autoren, dessen Frau 20 Jahre jünger ist.

  8. Anselm Says:

    Seltsam. Beim Lesen von “Rituale” dachte ich manchmal “Der Autor schreibt wie jemand, dessen Frau viel, viel jünger ist”. Natürlich sollte man Biographie und Bibliographie auseinanderhalten. Trotzdem finde ich es interessant, dass Meletos mein diffuses Gefühl nun bestätigt.

  9. Florian Says:

    Hatte zunächst von Noteboom Allerseelen gelesen, das von der Kritik als schwächer bewertet wurde und mich hingegen voll überzeugt hatte. Habe mir daraufhin mal günstig Rituale gekauft, das mich überhaupt nicht überzeugt hat. Deswegen empfehle ich lieber Allerseelen.