Die Briefe der Anderen

7. March 2010 | von

Herzzeit, Ingeborg Bachmann, Paul Celan

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Wer schreibt heute noch Briefe, mit der Hand, und lässt sie von der Post transportieren? Ich so gut wie gar nicht, nicht mehr. Ich kann mich aber erinnern, dass ich das früher einmal getan habe. Viele Briefe sogar, seitenweise. Neulich habe einen ganzen Stapel davon zurückerhalten. Von meiner Cousine, die sie über Jahrzehnte hinweg aufbewahrt hat. Offensichtlich hält sie sie für etwas Besonderes. Ich kann das nicht beurteilen, ich kann mich auch kaum erinnern. Und ich habe mich noch nicht getraut, einen Blick hineinzuwerfen.

Ich weiß einfach nicht, ob ich die Briefe dieser Fremden, etwa 17jährigen einfach so lesen darf. Schließlich gibt es ein Briefgeheimnis.

Die Post der Anderen bekommt man normalerweise nicht einmal zu Gesicht, schon gar nicht ihre Briefe. Ausnahmen gibt es nur bei bekannten Persönlichkeiten, deren zufällige Nachlässe jahrzehntelang in irgendwelchen Archiven aufgehoben werden. Bis sie dann in Buchform erscheinen. Auch da weiß ich manchmal nicht so recht.

Warum den Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan lesen? Ihre Liebes- und Streitbriefe, Höflichkeits- und Geschäftspost, Telegramme, Karten und Entwürfe, entstanden zwischen 1948 und 1961. Zwei längst Gestorbene, beide einen ganz eigenen, einsamen Tod. Alles mehr oder weniger privat, wenn man das Leben und Schreiben berühmter Dichter als privat betrachten möchte. Abschied und Wiedersehen, Hoffen und Warten, alles immer nur Versuch. Das Leben und Dichten der Anderen.

Diese Vokabeln und diese Welt!

Geht mich das etwas an? Muss mich das interessieren, weil die beiden heute zu Recht als herausragende Gestalten der deutschen Nachkriegsdichtung gelten?

Es gibt zwei Arten, dieses Buch zu lesen, eine davon ist die literaturwissenschaftliche. Mit einem ausführlichen Apparat versehen, Kommentar, Nachwort und verschiedene Register, ein editorischer Bericht, ausführliche Stellenkommentare, Siglen und eine nützliche Zeittafel, ist diese Version gut bedient.

Man kann aber auch einfach nur die Briefe lesen. Und genau das sollte man tun. Weil man sonst wunderbar wahre Sätze verpasst.

Nichts ist wiederholbar, die Zeit, die Lebenszeit hält nur ein einziges Mal inne, und es ist furchtbar zu wissen, wann und für wie lange.

Und die Tatsache, dass der wohl wichtigste Brief zwar geschrieben, aber am Ende nie abgesandt wurde.

6 Responses to “Die Briefe der Anderen”

  1. engl @ absurdum » Blog-Archiv » die briefe der anderen Says:

    [...] bachmann und celan, das leben und das dichten, und das briefgeheimnis: herzzeit. [...]

  2. Sammelmappe Says:

    Ich bin ein Fan von Briefen und Tagebüchern aller Art. Zu den Briefen in Herzzeit habe ich allerdings ein zwiespältiges Verhältnis. Ich nenne das Buch für mich immer Herzeleid. Ist sonst gar nicht meine Art zynisch zu werden, schon gar nicht, wenn es um die Liebe geht.
    Aber die Briefe der beiden lassen ahnen, welch komplizierte Situation entstand als sich diese beiden so besonderen Menschen näher kamen. Das muss ja explodieren, denke man die ganze Zeit und alles ist auf die Spitze gebracht. Das Leben, die Neurose, der Ehrgeiz, das Recht haben wollen, das im Mittelpunkt der Welt stehen wollen.

  3. engl Says:

    Stehen wir nicht alle im Mittelpunkt unserer Welt, ob wir das wollen oder nicht? Und machen wir nicht alle lebenslänglich die überraschende Erfahrung, dass es noch andere Welten gibt? ;-)

    Ein Recht haben wollen erkenne ich übrigens dennoch nirgends.

    Zu der komplizierten Situation gehört allerdings ganz sicher auch die historische Komponente und damit zusammen hängend die Goll-Affäre, die nicht wenig an Celan gefressen haben dürfte.

  4. Sammelmappe Says:

    Manchen Menschen reicht es Mittelpunkt der eigenen Welt zu sein, manche wollen andere um sich kreisen lassen.
    Mir lag es fern, die beiden zu kritisieren. Ich habe nur die Wirkung beschrieben, die die Briefe auf mich hatten. Wenn ich es mit einem Wort zusammenfassen müsste, würde ich sagen: Anstrengend.
    Auf mich wirken sie anstrengend. Womit ich nicht meine angestrengt – und auch nicht, dass diese Anstrengung nicht ihre literarischen Reize hätte.

  5. dopey Says:

    danke für den tipp!
    wo bekommt man die schöne ausgabe auf dem foto her?

  6. engl Says:

    Diese spezielle Ausgabe gibt (oder gab) es bei der Büchergilde.