Frühlings Erwachen im Bürgerkrieg

20. March 2010 | von

Ana Maria Matute, Doris Deinhard (Übers.), Erste Erinnerung

Matute_Erinnerung

Der Empfehlung unter meinen Gedanken zum Polnischen Reiter folgend habe ich mir Ana Maria Matutes Roman Erste Erinnerung von 1956 besorgt. Die deutsche Übersetzung (Doris Deinhard) ist seit Jahrzehnten vergriffen, so kam ich an ein schönes ausgemustertes Bücherei-Exemplar, Deutsche Verlagsanstalt 1965 (ein Hoch auf das Internet – noch vor 15 Jahren hätte ich mir gut überlegt, wie wichtig mir das Buch ist und sehr vielleicht eine Suche im Börsenblatt des Buchhandels aufgegeben, wahrscheinlich aber auf die Lektüre des Buches verzichtet).

Es ist die mittägliche Sommerhitze, die sich mir am stärksten eingebrannt hat. Matute findet immer neue Vergleiche und Metaphern für die lautlose Gewalt, mit der die spanische Sonne auf die Tage eindrischt. Erste Erinnerung erzählt aus der Ich-Perspektive der 14-jährigen Matia einige Monate aus der Zeit des spanischen Bürgerkrieges. Sie lebt in der Villa ihrer feinen und landbesitzenden Großmutter, Mutter tot, Vater ist wegen irgendwas mit dem Krieg nicht da. Die Geschichte setzt ein, nachdem Matia aus einem feinen katholischen (natürlich) Internat geflogen ist, wegen Widerborstigkeit. Am meisten erzählt Matia von ihrem etwa gleich alten Vetter Borja, dessen Name nicht zufällig an das Geschlecht der Borgia erinnert – er ist ein verschlagenes Biest, von dem sich Matia dennoch angezogen fühlt.

Der Roman erzählt von den Tagen, die mit ein wenig Privatunterricht und vielen Ermahnungen unterbrochen werden, von Ausflügen an den Strand, von geheimnisvollen Palastbewohnern und den Geschichten, die man sich über sie erzählt, von angestrengten Bandenkriegen, die Mädchen natürlich ausschließen, von Landarbeitern, die einfach verschwinden und als zerschlagene Leichen unter Felswändern wieder auftauchen. Die Geschichte mäandert und entsteht erst aus den vielen Versatzstücken von Matias Wahrnehmung – die meisten Zusammenhänge sind ihr selbst nicht klar. Gerade politische oder militärische Vorgänge bleiben völlig im Vagen – wie es eben ist, wenn der Erzähler weder involviert ist noch eine Vogelperspektive einnehmen kann.

Meisterlich gezeichnet ist vor allem die Innenwelt eines Teenagers, der zwar seine Regungen und Impulse registriert, sie aber überhaupt nicht einordnen oder kanalisieren kann und sich dadurch als hilfloses Opfer seiner Affekte fühlen muss. Matia weiß bis zum verheerenden Ende schlicht nicht, wie ihr geschieht.

Erste Erinnerung ist der erste Teil von Matutes Trilogie Die Krämer. Den zweiten Teil, Nachts weinen die Soldaten, habe ich umgehend bestellt. Wieder im Internet-Antiquariat.

2 Responses to “Frühlings Erwachen im Bürgerkrieg”

  1. Percanta Says:

    Ach, das freut mich, dass die Empfehlung gefallen hat. Empfehlungen zu geben macht mich ja immer nervös, als würde man damit die gesamte Verantwortung für das Buch übernehmen, und fürs Lebensglück gleich mit.
    Die Rezension meines spanischen Exemplars kommt damit allerdings leider zu spät. Ich verlege mich hier einfach aufs Verteilen von Lektüre statt aufs Selberlesen.

  2. kaltmamsell Says:

    Oh, bitte schreib etwas über dein spanisches Exemplar! Ich warte von Anfang an darauf, dass zwei von uns Common Readers das gleiche Buch besprechen – ich fände das ganz besonders interessant. (Am interessanesten bei gegensätzlichen Ansichten, aber das muss ja nicht sein.)