Lesen oder nicht lesen
7. June 2010 | von englWie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat, Pierre Bayard
Jeder kennt das. Lesen oder nicht lesen, das ist häufig die Frage. Denn Lesezeit ist Lebenszeit. Und Lesen braucht viel Zeit, mitunter. Besonders, wenn man lesen muss. Aber muss man? Wirklich?
Pierre Bayard bringt es kurz und knapp auf den Punkt. Nein, man muss nicht. Lesen ist keine Pflicht, nur keine Sorge. Doch es kommt auf das Berufsfeld an, in dem man tätig ist. So ist Lesen trotzdem vielfach kein Spaß, keine Freude, kein freiwilliges Freizeitvergnügen. Überhaupt ist es oft kein Vergnügen, Lesen kann eine Verpflichtung sein. Das gilt für Dozenten und Professoren, insbesondere, wenn sie im Literatischen unterwegs sind. Das gilt ebenso für Studenten auf diesem oder naheliegenden Gebieten. Die Listen mit den Pflichtlektüren scheinen mitunter endlos.
Schlimmer noch: man muss nicht nur lesen, man muss anschließend auch darüber reden, was man gelesen hat. Und am schlimmsten vielleicht: manchmal muss man darüber schreiben. Wie ich jetzt hier. Obwohl: eigentlich muss ich natürlich nicht. Ich mache das freiwillig. So freiwillig, wie ich dieses Buch gelesen habe. Zumindest zum Teil, soweit ich mich erinnere.
Das ist das Grundkonzept des Buches. Niemand kann alles das lesen, was man so gelesen haben sollte. Soviel Lebenszeit gibt es gar nicht, schließlich hat man hin und wieder auch noch anderes zu tun. Also teilt der Autor seine Lektüre ein in unbekannte Bücher, quergelesene Bücher, erwähnte Bücher und vergessene Bücher. Und scheut nicht davor, diesen jederzeit ziemlich klare Wertungen zuzuordnen. Ja, er geht sogar so weit, dass er jedes seiner Kapitel auf eines jener Bücher stützt, die er im Grunde gar nicht kennt. Oder kennt er sie doch? Ist es möglich, sinnvoll über Bücher zu reden, die man nie auch nur geöffnet hat?
Natürlich geht das. Jeder kennt das und jeder tut es. Oder etwa nicht? Im Gesellschaftsleben, einem Lehrer gegenüber, dem Schriftsteller gegenüber oder der oder dem Liebsten gegenüber. So die Kapitelüberschriften des zweiten Buchteils, in dem es eben darum geht. Im letzten Teil gibt es dann Empfehlungen zur Haltung in solchen unvermeidbaren Gesprächen, die da lauten: sich nicht schämen, sich durchsetzen, Bücher erfinden und vor allem von sich sprechen. Sagt das nicht alles? Muss man da noch weiterlesen?
Nicht ganz unerwartet endet dieses Buch mit dem weisen Rat, doch besser selber zu schreiben als seine Lebenszeit sinnlos mit Lesen zu verschwenden. Aber wer soll das dann alles lesen?
Kann man mehr über dieses Buch sagen? Sicher. Muss man dieses Buch lesen? Keine Ahnung. Habe ich es gelesen? Aber natürlich!
7. June 2010 at 17:00
[...] beispiel darüber, wie man es schafft, bücher nicht zu lesen und dennoch darüber zu sprechen: Lesen oder nicht lesen im Common Reader. [...]
8. June 2010 at 08:23
Vermutlich sind die echten Lese-Aficionados wirklich selten. Als ich während meiner Prüfungszeit für den Magister in englischer Literaturwissenschaft äußerte, wie sehr ich mich darauf freute, nach der Prüfung wieder selbstgewählte Bücher lesen zu dürfen, wurde ich schräg angesehen – als könne man mir das Bücherlesen grundsätzlich verleiden!
8. June 2010 at 10:45
Man muss viel gelesen haben, um überzeugend über Bücher reden zu können, die man nicht gelesen hat.
8. June 2010 at 11:52
Und umso mehr muss man viel gelebt haben.
8. June 2010 at 21:16
Meinste?
[ich wollte nur "Meinste?" schreiben, aber da kam die Fehlermeldung "your comment was a bit to short". Deshalb breite ich diesen Sachverhalt hier aus.]
8. June 2010 at 21:59
Meinich!
8. June 2010 at 21:59
Hm … Meiner war jetzt nicht zu kurz. ;-)