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Mehr als ein schlauer Mädchenstreich

25. February 2010 | von Anselm Neft

Helene Hegemann: Axolotl Roadkill CIMG1040 (Ullstein, Februar 2010, 2. Auflage)

Um 16 Uhr 30 wache ich orientierungslos in einen Bettbezug gewickelt auf und frage mich als erstes, ob man in so einem Zustand von sich selbst gelangweilt sein kann. Bin krank. Seit Wochen. Die Wohnung besteht aus Taschentüchern, Teebeuteln, Staubmäusen und dem gerade ausgelesenen Buch Axolotl Roadkill. Mir schwirrt der Kopf. Ich habe Gesichte.

Am Bettrand sitzt Helene und sieht mich aus kajalumränderten Augen an.

 

„Was meinst du?“, fragt sie.

„Nicht übel. Is’ schon Literatur. Oder zumindest Proto-Literatur.“

„Früher war das alles so schön pubertär hingerotzt und jetzt ist es angestrengte Literatur.“

„Es ist teilweise auch anstrengend zu lesen. Ich habe mich gefühlt, als würde ich ein paar Stunden mit einem sehr schlauen, belasteten Teenager verbringen.“

„I totally agree und frage trotzdem: Warum?”

„Sprichst du immer englisch, wenn du dich schämst?“

“Ach, I don’t care.”

“Nee, Helene, echt, is’ schon viel Interessantes dabei. Da ist also diese 16jährige Mifti, deren Mutter seit drei Jahren tot ist, Mifti, die nicht in die Schule geht, alle möglichen Drogen nimmt, viel halluziniert und reflektiert, rumlabert, vergewaltigt wird, mit ihren älteren Halbgeschwistern zusammenlebt, hin und wieder ihren aufgeblasenen Künstler-Vater anruft und in der 46 Jahre alten Alice einen erotisch aufgeladenen Mutterersatz und schließlich in der 28 also 36 Jahre alten Ophelia einen Ersatz-Ersatz sucht, was auch schief geht, Mifti, die sich zwischendurch einen symbolisch aufgeladenen Axolotl zulegt (Schwanzlurch, wird nicht erwachsen) und am Schluss noch mal Alice trifft. Mir gefällt das zum Lebensgefühl gewordene Misstrauen. Dieses gnostische Fremdsein in der Welt, in der Gesellschaft, im Körper und im eigenen Kopf.“

„Baby, was veranstaltest du denn für Scheiße hier?“

Wir schweigen eine Weile und schauen auf ein Stück Rindfleisch unter der Heizung.

„Aber ist es nicht etwas pietätlos, so zu schreiben, wenn die eigene Mutter wirklich tot ist?“, fange ich das Gespräch wieder an.

„Vater, Mutter, Kind. Warum ist dieses barbarische Familienmodell eigentlich nicht auszurotten?“, giftet Helene ohne rechten Elan.

„Du lenkst ab.“

„Alles in allem ist über mich zu sagen: Diese junge Frau spielt geschmeidig auf der Klaviatur der Elemente wie eine Gazelle mit Panzerfaust.“

„Das ist wieder so ein Satz. Halbdoof, aber auch lustig.“

„Diese sich verselbständigende Altklugheit muss ich mir dringend abtrainieren.“

“Och schade! Gerade die wirkt doch so erfrischend jugendlich. Weniger echt finde ich andere Stellen. Zum Beispiel lesen sich die Sex- und Drogenerlebnisse teilweise ein wenig…”

„Es ist egal, woher ich die Dinge nehme, wichtig ist, wohin ich sie trage.“

„Die Passagen sind also nicht alle von dir?“

„Nein von so nem Blogger.“

„Der Typ, der „Strobo“ geschrieben hat?“

„Airen.“

„Ist der sauer? Oder sagt er: Ich bin nicht sauer, nur enttäuscht?“

„Ich bin nicht so der Drüber-Rede-Typ.“

„Na immerhin hat der Hype um dein Buch auch seinem Buch Bekanntheit verschafft. Amazonranking 168 habe ich eben gesehen. Und Ullstein hat dem Kleinverlag SuKuLTuR ein paar Tausender rüberwachsen lassen. Das hat ja auch was Gutes.“

„Moral ist unintelligent. Sie greift zu kurz. Da ist man einfach zu schnell im Konsens. Das fällt mir jetzt spontan dazu ein.“

„Jaja, und „dein“ und „mein“ sind ohnehin nur bürgerliche Kategorien. Dabei kommt dein Text bestimmt hauptsächlich bei uns Bürgerlichen an. Es gibt ja diese Literaturgattung der „Lebensbeichte“, da können sich dann Oberstudienräte in Pforzheim durchlesen, wie das so ist auf dem Drogenstrich oder als Teilzeithure oder bei der wohlstandsverwahrlosten Jugend in Berlin. Und dann können sie den Kopf schütteln und sagen: Schlimm, schlimm, schlimm. Aber bei dir ärgern sich jetzt bestimmt ein paar Spanner, dass sie das für einen Erlebnisbericht gehalten haben. Ist das nicht ein seltsames Gefühl: Auf der einen Seite schön spießige Erwartungen durchkreuzen, auf der anderen Seite nicht über eigene Erfahrungen sondern aus zweiter Hand schreiben? 

 „Von mir selber ist überhaupt nichts, ich selbst bin schon nicht von mir.“

„Das ist von der Schauspielerin Sophie Rois, stimmt’s?“

„Keine Ahnung.“

„Trotz der Flickschusterei hast du einen eigenen Sound und klingst glaubwürdig verwirrt und angepisst. Deshalb gefällt mir das Buch, trotz aller Schwächen.“

„Ich habe mit zwölf einen ganzen Roman geschrieben, der nur aus Songtexten von Nick Cave zusammengeflickt war.“

„Immerhin Nick Cave und nicht Phil Collins.“

Helene scheint mir gar nicht zuzuhören. Sie starrt vor sich hin und schaukelt mit dem Oberkörper hin und her. Wie für sich selbst sagt sie leise: „Ich bin für den Rest meines Lebens behindert, und niemand kann was dran ändern. Für den Rest meines Lebens kann ich das Verhalten von Selbstmordattentätern nachvollziehen.“

„Tja, jetzt weiß aber keiner mehr, was Show ist und was nicht.“

„Kannst du dir vorstellen, wie megaaggressiv ich bin auf all die pseudoerfahrenen Scheißleute um mich rum, die noch nie mit irgendeiner wirklich ernsthaften Schwierigkeit konfrontiert wurden, außer vielleicht mit einer Rheumaattacke oder Trennungsschmerz?“

„Ja, aber wenn ich dich jetzt ernstnehme, zeigst du mit dem Finger auf mich und lachst mich aus. Das ist schlau, aber auch scheiße und damit schon wieder tragisch.“

„Ich lüge, weil ich eigentlich genau weiß, wonach ich mich sehne.“

„Lass uns über Sex reden.“

„Das ist krass uncool, Mann.“

„Ich habe das Gefühl, dass Sex für dich was Anziehendes und gleichzeitig Fieses ist. Auf der einen Seite sind erstaunlich viele Menschen im Buch scharf auf die zugedröhnte Mifti. Auf der anderen Seite wird Sex immer als brutal und einsam beschrieben.“

„Ich hab ein Problem mit Sex, weil Sex der bedingungslosen Liebe entgegenwirkt, die ich will, und nichts anderes ist als ein egoistischer, tierischer Trieb, der die Menschen, die ich liebe, als fremdgesteuerte Reflexbündel entlarvt.“

„Das würde Bischof Mixa freuen.“

„Dein Körper, der eigentlich nichts mit dir zu tun hat, hat dich besiegt. Manche empfinden das als absolute Erfüllung. Mir macht das aber einfach Angst.“

„Nicht nur dir. Aber vielleicht hast du in zehn Jahren normalen, gleichberechtigten, legalen, auf erfüllter Liebe basierenden Sex.“

„Sex ist ja immer ein gewalttätiger Akt.“

„Bitte Helene, lass das nicht das Schlusswort sein. Hättest du noch was anderes?“

„Wie wär’s damit: Ich persönlich würde mich wirklich freuen, wenn Sie als Publikum etwas Brauchbares finden, das über das Individuell-Psychologische der Autorin hinausgeht.“

Wir schweigen eine Weile. Vermutlich hat auch Helene das Gefühl, dass dieser Abschlusssatz zu glatt ist, zu anbiedernd. Sie steckt sich eine Zigarette an und denkt ein paar Züge lang nach.

„Ich habe dieses Jahr Höchststeuersatz“, sagt sie schließlich und lacht.