Autor-Archiv

Maximilian Buddenbohm: Zwei, drei, vier. Wie ich eine Familie wurde

26. Januar 2010 | von Isa

BuddenbohmZwei

Die Blogosphäre kennt Maximilian Buddenbohm als Autor der Herzdamengeschichten. Eins seiner wiederkehrenden Blogthemen ist seine Familie, und um die dreht sich auch das Buch: um die Herzdame und die eher herzlos durchnummerierten Söhne, Sohn 1 und Sohn 2. Ich gestehe es lieber gleich, ich bin mit den Buddenbohms befreundet, bin Patentante von Sohn 2, ich kann also nicht behaupten, ich wäre unbefangen an dieses Buch gegangen. Im Gegenteil, ich habe immer Angst vor Büchern von Freunden, denn: was, wenn ich es nicht mag?
Nun ja. Ich habe zwei Nächte bis zwei Uhr gelesen, weil ich es nicht weglegen konnte. Und das, obwohl ich die einzelnen Kapitel schon allesamt als Blogeinträge gelesen hatte. Teils schon vor Jahren, ausnahmsweise kommt mir hier mal mein schlechtes Gedächtnis zugute, ich lese das meiste wie zum ersten Mal. Und bin wirklich bezaubert. Inhaltlich gibt es nicht viel zu sagen: Mann trifft Frau, sie heiraten und kriegen Kinder. Knallerstory. Die wird aber auf eine so charmante Weise erzählt, dass man sie, ich schwör’s, tatsächlich so noch nicht gelesen hat. Denn der kompromisslose Pragmatismus der Herzdame aus dem bodenständigen Nordostwestfalen und die liebevolle Ironie, mit der Maximilian Buddenbohm zum einen die Herzdame, und zum anderen sich selbst betrachtet, sind schon wirklich speziell. Speziell liebenswürdig. Mit derselben Selbstverständlichkeit, mit der er sich selbst und das Leben nicht ganz ernst nimmt, lässt er die Macken aller anderen gelten (hier vor allem die der Herzdame, aber in seinem Blog sieht man, dass das auch für alle anderen gilt). Selbstironie und Großzügigkeit gegenüber anderen als grundsätzliche Lebenseinstellung – man wünscht sich mehr solche Menschen auf der Welt. Jaja, große Worte, schon gut. Will sagen: lest dieses Buch. Und habt Spaß. Ich habe manchmal laut gelacht, und das, obwohl ich die Geschichten kannte.

Maximilian Buddenbohm kommt im Regal zwischen Lothar-Günther Buchheim und Charles Bukowski.

Kristof Magnusson: Das war ich nicht

21. Januar 2010 | von Isa

Jasper Lüdemann ist ein deutscher Aktienhändler an einer Bank in Chicago. Er will einem Kollegen aus der Klemme helfen, verspekuliert sich dabei aber und macht reichlich Verluste für seine Bank.
Henry LaMarck ist ein berühmter Schriftsteller, der nun schon zum zweiten Mal für den Pulitzerpreis nominiert ist. Dummerweise hat er irgendwann behauptet, er schriebe an einem Roman über den 11. September, tatsächlich steckt er aber in der Krise und schreibt gar nicht. Sein Chicagoer Verlag wartet, ebenso wie der deutsche Verlag, auf das Manuskript.
Meike Urbanski ist seine deutsche Übersetzerin, die gerade aus ihrem immer bürgerlicher werdenden Leben in Hamburg geflohen ist und sich ein heruntergekommenes Häuschen in Friesland gekauft hat. Sie ist pleite und braucht dringend das Manuskript von Henry LaMarck.
Diese drei erzählen im Wechsel, und zwar so (jeweils der Anfang):

Jasper
„Guten Morgen, Sir. Wie geht es Ihnen?“
„Gut“, sagte ich. Was sogar der Wahrheit entsprach. Es ging mir gut, obwohl ich die ganze Nacht mit den Kollegen durch irgendwelche Londoner Bars gezogen war. Das erzählte ich der Stewardess natürlich nicht. Dabei hätte ich eigentlich gern jemandem erzählt, was in den letzten Tagen passiert war.

Meike
Jetzt musste ich mich nur noch daran gewöhnen, dass es hier richtig schön war. Ich musste mich daran gewöhnen, dass diese Haustür meine Haustür war, und dahinter kein nach Putzmittel riechender Hausflur, keine Kinderwagen, kein von weggeschmissenen Werbeprospekten überquellender Plastikeimer, sondern nur meine blauen Schuhe auf den braunen Natursteinfliesen im Vorflur. Dies war ich in meinem neuen Leben.

Henry
Ich sollte mich wirklich schämen. Schämen solltest du dich, Henry LaMarck! Auf jeder anderen Party wäre es im Rahmen des gesellschaftlich Akzeptierten gewesen, sich sang- und klanglos davonzustehlen, doch auf der Party zu meinem eigenen sechzigsten Geburtstag war es das sicher nicht.

Tut er aber, er stiehlt sich davon und verschwindet. Der Verlag sucht nicht nach ihm, daher fliegt Meike schließlich auf eigene Faust nach Chicago. Wo sie in einem Café Jasper kennenlernt. In ebendiesem Café lernen sich auch Jasper und Henry kennen – Henry verliebt sich in Jasper, Jasper sich in Meike, Meike aber will nur das Manuskript, das es nicht gibt.
Alle drei stecken in der Sackgasse. Jasper hat sich verspekuliert, versucht, dagegen an zu spekulieren und reitet sich immer weiter rein. Meike ist aus der Bürgerlichkeit abgehauen, hat jetzt aber keine Arbeit und auch sonst nichts. Und Henry hat Schreibblockade und weiß nicht, wie er damit umgehen soll. Zudem kennen sich jetzt alle drei, wissen aber jeweils nicht, dass die anderen beiden sich auch kennen.
Sehr schöne Ausgangssituation, und es wird auch alles sehr liebevoll beschrieben, es gibt zauberhafte Szenen und Ideen, aber restlos begeistert kann ich nicht sein. Dafür gibt es mir doch zu große Plausibilitätsschwächen – dass Meike nach Chicago fliegt zum Beispiel, erschließt sich überhaupt nicht. Zweitens kann ich Geschichten nicht leiden, in denen sich jemand immer tiefer in was reinreitet, weil er sich nicht traut, einen kleinen Fehler zu gestehen oder ein Missverständnis aufzuklären. Es nervt mich, wenn eine Figur selbst wissen muss, dass es immer nur schlimmer werden kann, sich aber einredet … nee, nichts für mich, aber das ist natürlich mein Privatdings und kann nicht als echte Kritik gelten. Und drittens möchte ich Sätze wie „Ich startete den Internet-Browser“ 2010 nicht mehr lesen.
Das Ende ist schließlich so fernsehfilmhaft dick aufgetragen, dass mir dann doch der Verdacht kommt, Magnusson habe das alles nicht sehr ernst gemeint – eher als Spiel, als Augenzwinkern. Das wiederum gefällt mir, ich bin nur nicht sicher, ob es wirklich so ist. Fazit: das ist ein gutes Buch, durchaus, ich weiß nur nicht recht, wie ich mit den Einschränkungen umgehen soll. Ansonsten wird es übrigens allenthalben bejubelt, zum Beispiel von Katy.

Kristof Magnusson steht im Regal zwischen Nagib Machfus und Bernard Malamud.

David Nicholls (Simone Jakob): Zwei an einem Tag

13. Januar 2010 | von Isa

Der Roman beginnt so:

Freitag, 15. Juli 1988
Rankeillor Street, Edinburgh

„Ich glaube, das Wichtigste ist, irgendwas zu verändern“, sagte sie. „Du weißt schon, wirklich zu verbessern.“
„Wie, meinst du ‚die Welt verbessern’?“
„Nicht gleich die ganze Welt. Nur das kleine Stück um dich rum.“
Für einen Augenblick lagen sie schweigend und eng umschlungen in dem schmalen Einzelbett, dann lachten beide in der Dunkelheit vor Sonnenaufgang leise vor sich hin. „Ich kann es nicht fassen, dass ich das gesagt habe“, stöhnte sie. „Klingt ganz schön abgedroschen, was?“

Emma und Dexter verbringen die Nacht nach ihrem Studienabschluss miteinander, haben nur so halb Sex, und gehen am nächsten Tag in verschiedene Richtungen los, ihr Leben leben. Aber sie halten Kontakt, über Jahre und Jahre, werden Freunde, gehen sich auf die Nerven, verlieren sich fast aus den Augen, klammern sich wieder aneinander fest, erzählen einander ihren Kummer, haben andere Partner, suchen ihren Platz im Leben und werden erwachsen. Wir begleiten sie von 1988 bis 2007 und erleben jeweils ihren 15. Juli mit.

Schöne Idee, sehr schön umgesetzt. Mittendrin sind mir die beiden zwar fürchterlich auf die Nerven gegangen, ich habe schon kurz überlegt, es trotz anfänglichen Entzückens beiseite zu legen, aber dann ging mir auf, dass sie sich ja auch gerade selbst und einander auf die Nerven gehen, in sofern hat das hervorragend gepasst. Und es hört auch wieder auf. Besonders überzeugend fand ich die Dialoge (auch schön übersetzt, heißt das) – die Stimmung, die zwischen Emma und Dexter in den Dialogen entsteht, ist eine ganz besondere, an die keine andere Zweierpaarung des Buches herankommt. Wüsste der Leser nicht sowieso, dass die beiden eigentlich für einander bestimmt sind, würde er es spätestens daran merken.

Ein Buch zum Reinplumpsen, zum sich Festlesen, für den Strand oder krank im Bett, es fordert das Hirn nicht übermäßig, was aber überhaupt nicht heißt, dass es doof wäre, im Gegenteil. Und witzig ist es auch, sehr schön englischer Humor. Ein richtiges „Hach!“-Buch.

Zwischendrin sind jeweils zum Beginn der großen Oberkapitel Zitate aus Klassikern eingefügt, und hinten werden diese Zitate „nachgewiesen“, teilweise ohne Übersetzernennung. „Abdruck der deutschen Übersetzung mit freundlicher Genehmigung des Verlags gna“. Hallo? Mannmannmann.

Michael Köhlmeier: Idylle mit ertrinkendem Hund

8. Januar 2010 | von Isa

Das Buch beginnt so:
Nur drei meiner Bücher hat Dr. Beer lektoriert. Die Arbeit am vierten brach er ab – wie er mir in einem handgeschriebenen Brief mitteilte, „nach gesundheitlichen Erwägungen“. Ich weiß es besser. Er schämte sich vor mir – wegen der Ereignisse, die während unserer letzten gemeinsamen Arbeit vorgefallen waren: die Geschichte mit dem Hund. Kann sein, dass es ihm nicht recht ist, wenn ich diese Geschichte hier erzähle. Aber: Er war nicht nur mein Lektor, sondern auch mein Lehrer, und er hatte stets betont, Literatur, die auf irgendetwas oder irgendjemanden Rücksicht nehme, sei nichts wert.

Der Lektor ist überhaupt ein kluger Mann, scheint’s. Er besucht den Autor bei sich zu Hause, um gemeinsam am aktuellen Buch arbeiten zu können; ein Novum, sonst hat man sich immer im Verlag getroffen. Jetzt reist der Lektor also an und wird ein paar Tage bleiben.
Wenn Autoren über Autoren schreiben, bin ich immer erstmal ungehalten. In diesem Fall ist das aber etwas anderes, denn das ist gar kein Roman, wie ich dachte. Oder höchstens so halb. Ob es den Lektor wirklich gibt und die Geschichte mit dem Hund wirklich passiert ist: keine Ahnung. Aber der Schriftsteller in diesem Buch ist Köhlmeier selbst; seine Frau heißt, wie seine Frau wirklich heißt, ebenso die vier erwachsenen Kinder. Seine Tochter Paula ist mit 21 Jahren bei einer Bergwanderung tödlich verunglückt, und das wird in diesem Buch mit verarbeitet. Aber nicht nur, wie der Klappentext glauben macht. Es geht ebenso um das Verhältnis zwischen Autor und Lektor, und das auf hohem Niveau. Der Klappentext (und das, was überall steht) ist überhaupt doof, denn der Spaziergang, der dort verkündet wird, beginnt auf Seite 90 von 110. Das will man doch gar nicht vorher wissen. Und was dann noch im Klappentext steht, ist schon Interpretation, nicht neugierigmachender inhaltlicher Teaser. Ich finde so was ärgerlich. Also: Klappentext nicht lesen, Buch aber sehr wohl lesen.
Denn auch wenn ich mir das Ende irgendwie noch ein bisschen intensiver gewünscht hätte, ist das sicher eines der besten Bücher der letzten Jahre. Es hat das, was ich den Rhythmus von Prosa nenne, also keinen Beat wie Lyrik, sondern ein unterschwelliges Rauschen, wie ein Fluss oder so etwas, ein Treiben, das einen reinzieht und mitnimmt; schwer zu benennen und zu packen, aber unverkennbar da. Ein Sog. Und dann sind auch noch so viele kluge Gedanken drin. Und so schöne Bilder. Lesen!

Finn-Ole Heinrich: Räuberhände

6. Januar 2010 | von Isa

Der Roman beginnt so:
Meine Eltern lieben Samuel. Und er liebt sie. Wenn Samuel mich nervt, nenne ich ihn manchmal Adoptivkind, das ist sozusagen sein wunder Punkt. Seit Samuel und ich in einer Klasse sind, sind wir befreundet. Fast sieben Jahre jetzt. Und seitdem schläft Samuel fast jede Nacht bei uns. Er hat schon lange ein eigenes Bett in meinem Zimmer. Meine Eltern haben es ihm geschenkt. Natürlich haben sie mich vorher gefragt, ob das in Ordnung für mich ist, sie würden so etwas niemals über meinen Kopf hinweg entscheiden. Aber es ist nicht so, dass ich etwas dagegen hätte. Ich bin nicht eifersüchtig. Samuel ist mein bester Freund und wenn meine Eltern mich nicht gefragt hätten, hätte ich sie wahrscheinlich gefragt.

Die perfekten Eltern des Erzählers haben also mal wieder alles richtig gemacht. Grauenhaft, wie sie immer alles richtig machen, man kann sie nicht hassen, man kann sich von nichts abheben, gegen nichts rebellieren. Samuels Eltern hingegen sind eher das Gegenteil von perfekt, die Mutter ist Alkoholikerin und nur deswegen nicht obdachlos, weil sie Samuel hat, und einen Vater gab es nie. Die Mutter hat irgendwann behauptet, er sei Türke, und seitdem bildet Samuel sich ein, Halbtürke zu sein und sein Glück in der Türkei finden zu müssen. Und so brechen die beiden Freunde nach dem Abitur auf, um in Istanbul „irgendwas“ zu machen, einen Laden aufmachen oder so. Obwohl neuerdings etwas zwischen ihnen steht, von dem sie beide nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen.
Es ist eine Geschichte von Freundschaft und vom Erwachsenwerden, vom Abnabeln, von der Sehnsucht nach Kaputtheit und der nach etwas Heilem und von der Suche nach sich selbst. Und vielleicht auch die Geschichte von etwas Uneingestandenem. Sehr schön. Ich mag sehr, dass nicht alles geklärt wird, dass man sich am Ende immer noch fragt … sag ich nicht. Und so schön unprätentiös erzählt.

Mehr dazu (Trailer, Leseprobe etc) gibts bei Mairisch, wo man das Buch auch gleich bestellen kann.

James Krüss: Henriette Bimmelbahn und ihre Freunde.

27. Oktober 2009 | von Isa

Henriette heißt die nette,
alte, kleine Bimmelbahn.
Henriette, Henriette
fuhr noch nie nach einem Plan.

Henriette steht so lange
auf dem Bahnhof, wie sie mag.
Und so steht sie dort auch heute,
an dem schönen Sommertag.

Und alle Kinder steigen ein und machen einen Ausflug, und abends bringt Henriette sie alle wieder zurück nach Hause.

Doch die alte Henriette
ruckelt müde, zuckelt matt,
bimmelt leise ihre Weise
Und rollt heimwärts in die Stadt.

Vier Gedicht-Geschichten in einem Band: Der kleine, knallrote Doppeldecker Clipperstorch hat früher immer die Post ausgeflogen, steht jetzt aber nur noch im Schuppen herum. Eines Tages befreit er sich daraus und fliegt eine Runde, und da finden alle Großenhainer, er solle wieder die Post ausfliegen. Der Doppeldecker freut er sich, und die Großenhainer auch.
Die ganz besonders nette Straßenbahn möchte mal woanders langfahren als immer nur im Kreis und fährt eines Tages auf ein totes Gleis. Und weil sie so nett ist, nimmt sie alle mit, die am Wegesrand stehen und mitmöchten.
Der blaue Autobus schließlich gibt sich alle Mühe, nicht den Pudel Ottokar totzufahren, der immer kläffend vor ihm herumspringt.
Und natürlich ist das wieder alles ganz zauberhaft und charmant und vor allem: so schön ohne jeglichen pädagogischen Zeigefinger. Keine umfangreiche Geschichte, es passiert nicht viel, das Reimen hat James Krüss ebenso drauf wie den Rhythmus, und dann ist das alles wirklich schön illustriert. Es kann so einfach sein.