Archiv für April 2010

Jakob Hein: Herr Jensen steigt aus

23. April 2010 | von Isa

HeinJensenDer Roman beginnt so: Der Brief in seiner Hand war wie üblich nicht für ihn. Herr Jensen strich mit dem Umschlag knapp unterhalb der Schlitze über die Türen der Briefkästen, so dass sich das vordere Drittel des Umschlags an die Metallgehäuse drückte. An jeder Lücke zwischen zwei Kästen gab es einen kleinen Sprung, und das Adressfeld schien vor seinen Augen leicht zu tanzen.

Herr Jensen hat nie etwas besonders gut gekonnt, und vor allem nie etwas wirklich gewollt. Und so bricht er das Studium ab und arbeitet weiter bei der Post, wo er schon als Schüler und als Student gejobbt hat. Aber dann wird er entlassen, ist arbeitslos und wird erst wunderlich, dann verrückt und schließlich paranoid. Und das ist genauso öde, wie es klingt. Weiter passiert nichts, es kommt keine Überraschung, es ist inhaltlich total vorhersehbar und weder sprachlich noch erzähltechnisch irgendwie besonders. Das ganze Buch ist durch und durch schnarch.
Ich nehme an, es handelt sich um eine so genannte Satire. Desweiteren nehme ich an, dass einem „das Lachen im Halse steckenbleiben“ soll. Ich muss aber leider nur gähnen.

Jakob Hein wohnt im Regal zwischen Henrike Heiland und Heinrich Heine.

Der schale Lauf der Dinge

18. April 2010 | von Modeste

Georg M. Oswald, Vom Geist der Gesetze, 2007

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Vor einem runden Dutzend Jahre saß ich – ein wenig gelangweilt, nehme ich an – in einem fensterlosen Hörsaal, und einige Meter vor mir lief ein älterer Herr in beuteligen Hosen hin und her und sprach über das Strafrecht, genauer gesagt: über die soziologische Komponente des Strafens und Bestraftwerdens. Was er ganz genau sagte, habe ich vergessen, aber sinngemäß und sehr ungefähr entnahm ich seinen Worten, dass wir alle Sünder seien, und die Armen, die Ungebildeten und die Ausländer säßen nur deswegen mehr im Gefängnis als andere Leute, weil sie weder am Erlass der Gesetze noch an deren Vollzug beteiligt seien.

Soweit ich mich erinnere, reagierte das Auditorium ungefähr so stumpf, wie es halt zu gehen pflegt, wenn jemand Dinge erzählt, die jeder weiß, und die Empörung des schon damals grauhaarigen Dozenten verpuffte ebenso wirkungslos in der abgestandenen Luft des Juridicums wie – zumindest nehme ich das an – sein Appell, sich stets daran zu erinnern, dass Juristen oft nicht Gerechtigkeit exekutieren, sondern die Summe der Vorurteile der herrschenden gesellschaftlichen Gruppen.

Ein paar Jahre später, ich hatte die Uni inzwischen verlassen, wurde mit diesem Dozenten eine ganze Generation emeritiert, deren stets reizbare Empörbarkeit meistens berechtigt gewesen sein mag, um sich trotzdem bisweilen schmerzhaft lächerlich zu äußern, und dass der Roman des Münchners Georg M. Oswald rein thematisch zumindest einen Hund wie mich nicht hinter dem Ofen hervorzulocken vermag, wird wohl auch damit zu tun haben, dass die Ungerechtigkeit auch in meinen Augen ein Übel darstellt, keine Frage, allerdings ein Übel, über das ich mich eher etwas seltener errege, und das öffentlich auszustellen jedenfalls kein Zweck ist, der das Mittel eines ansonsten eher etwas faden Buches zu heiligen vermag. Die Dinge – und die Anfechtbarkeit dieses Gleichmuts ist mir bewusst – sind, wie sie sind. In Oswalds Buch sind sie also folgendermaßen:

Ein junger Mann mit problematischem Elternhaus und schlechten Examen bekommt, wie es halt so zu gehen pflegt, wegen der Beziehungen seines Onkels einen guten Job bei einem renommierten, eitlen, alten Strafverteidiger. Ein Politiker von durchaus mittelmäßigen Gaben möchte hoch hinaus, fährt in einem nicht namentlich genannten, aber recht gut erkennbaren München einen erfolglosen Drehbuchautor an und befiehlt seinem Fahrer, sodann dem Opfer Geld zuzustecken, damit nichts aufkommt, und sich dann als Täter verurteilen zu lassen, damit des Politikers Weste weiß bleibt. Der eitle, alte Strafverteidiger soll den Fahrer verteidigen.

Kompliziert wird es, als der Fahrer in der mündlichen Verhandlung nicht mitspielt. Ein eifriger, wenn auch schon etwas resignierter Staatsanwalt nutzt diese Chance, dem Politiker am Zeug zu flicken, der alte Anwalt schläft mit der Freundin des Anfängers, den sich wiederum die junge Frau des Alten nimmt, es tauchen viele, viele politische und private Affären und –affärchen auf und dienen dem weiteren Fortgang der Handlung als manchmal etwas sehr zurechtgebaute Treppen und Flure zwischen den einzelnen Akten der Handlung, und dass am Ende nicht das Gute – wer auch immer das sein mag – gewinnt, weiß man auf den ersten Seiten des Buches, denn andernfalls ginge die Absicht Oswalds nicht auf, mit den Mitteln des satirischen Romans die Verdorbenheit der deutschen Gesellschaft zu demonstrieren. Ein bisschen vorhersehbar ist das alles, und ein wenig bieder dazu. Man gähnt. Ich habe zwischendurch mehrmals um ein Haar nicht weitergelesen:

Zunächst ist die Handlung nicht so besonders originell. Zugegeben, es gibt kaum etwas, das moralische Verkommenheit plakativer demonstriert als der Versuch, die Justiz zu manipulieren, aber ein Autounfall als Auslöser des Zusammenpralls sehr verschiedener Milieus in einem urbanen Biotop ist seit Tom Wolfe sicher nur noch mit Vorsicht zu aufzugreifen. Dass die angeblichen Verflechtungen zwischen den Personen über das selbst im eng vermaschten Hauptstadtbetrieb bekannte Maß doch einigermaßen deutlich hinausgehen, mag als satirische Überzeichnung noch angehen, doch das die Personen das Klischee kaum jemals überragen, verzeiht man dann auch einem flüssig und bisweilen amüsant erzählten Roman nicht. Oswald, so gewinnt man den Eindruck, interessiert sich für die einzelnen Protagonisten seines Buches kaum, die damit mehr als Prototypen denn als Individuen durch die Handlung spazieren. Entsprechend fällt es auch dem Leser nicht ganz leicht, sich für diese Leute zu interessieren. Dass der Roman sprachlich nicht so besonders ausgefeilt ist, mag dagegen auch dem Genre geschuldet sein.

Da hilft es dann auch am Ende nicht viel, dass die (sicher nicht selten zutreffenden) Klischees rund und ordentlich bedient werden. Die Personen sprechen meistens miteinander, wie echte Menschen es zu tun pflegen, und der Roman spielt – was ich meistens und auch hier sehr schätze – nicht im Niemandsland des Innenlebens irgendwelcher Freaks, sondern im realen Raum von Familien, Parteien, Berufen, Strafgerichten, Hotels, Büros und Vinotheken. Vielleicht muss das reichen. Es ist selten genug, aber ein gutes Buch, ein gutes Buch hat Georg M. Oswald nicht geschrieben.

Joel Haahtela: Sehnsucht nach Elena

18. April 2010 | von Isa

HaahtelaElenaDer Roman beginnt so:
Gleich kommt sie. Noch kann ich sie nicht sehen, höre aber beinah ihre Schritte. Sie hallen über das Pflaster, kurz bevor der Sand ihr Echo schluckt. Immer auf die gleiche Weise, immer überraschend. Als käme sie aus dem Nichts.
Auch gestern saß ich hier, genau wie am Tag zuvor. Sie nimmt mich kaum wahr, obwohl der Park zu dieser Morgenstunde menschenleer ist. Die Bank steht etwas abseits unter einer Kastanie.

Da sitzt der Erzähler also, auf der Bank unter der Kastanie im Park, und wartet auf Elena. Vorgestern, gestern und heute. Und morgen und übermorgen. Dass sie Elena heißt, weiß er noch nicht, er erfährt es im Laufe der Zeit zufällig. Tag für Tag sitzt er da und sehnt sich nach Elena, er weiß, wann sie durch den Park kommt, sieht sie vorbeigehen, spricht sie nicht an, tut auch sonst nichts. Er hat nur diese Sehnsucht, da zu sein und sie zu sehen. Und dann geht er durch die Stadt oder nach Hause und sieht aus dem Fenster in den Garten. All das in sehr kurzen, sehr einfachen Sätzen, hervorragend aus dem Finnischen übersetzt von Sandra Doyen – manchmal nerven so kurze Sätze ja, hier nicht, hier funktionieren sie, sie ergeben einen fast schon hypnotischen Rhythmus. Man sieht mit dem Erzähler zusammen irgendetwas und denkt dabei nicht viel.
Eines Tages kommt Elena nicht, und am nächsten Tag auch nicht, und am übernächsten nicht. Und er macht sich auf die Suche. Jedes Wort, was ich noch weiter über die Geschichte erzählen würde, wäre zu viel; lange Zeit passiert nur wenig. Und egal, wie dezent ich etwas über das Ende andeuten würde, es wäre zu viel, denn Ihr sollt das selbst lesen, unbedingt. Es sind nur 150 Seiten, und die meisten davon sind nur halb voll.
„Sehnsucht nach Elena“ ist jetzt schon ein Anwärter, ein Lieblingsbuch des Jahres zu werden. Selten so ein großartiges Ende gelesen. Und wenn man fertig ist, will man gleich vorne wieder anfangen. Nicht aus lauter Trauer, dass es vorbei ist, sondern, um sich noch mal zu vergewissern.

Joel Haahtela bekommt einen Regalplatz zwischen Woodie Guthrie und Wolf Haas.

Henrike Heiland: Von wegen Traummann

18. April 2010 | von Isa

HeilandTraummannDer Roman fängt so an:
Meine Mutter konnte jedes Mal riechen, wenn ich Sex hatte. Sie roch es drei Straßen weiter in ihrer Wohnung. Spätestens, wenn ich mir den BH aufmachte, nahm sie Witterung auf. Tastete ich nach den Kondomen neben dem Bett, griff sie zum Telefon und wartete. Kurz vorm Höhepunkt begann sie zu wählen. Und das Klingeln brachte mich natürlich komplett raus.

Charlotte hat seit anderthalb Jahren den perfekten Freund: Frank ist reich, verheiratet, aufmerksam und romantisch. Er kommt jeden Mittwoch, bringt Blumen mit und verwöhnt und verführt sie. Perfekt.
Nur, dass sie dann doch irgendwann gern etwas Richtiges hätte. Einen Mann nur für sich, eine offizielle Beziehung, einen, der immer da ist. Nicht nur Mittwochs. Kaum hat sie Frank das gesagt, da verlässt er Frau und Tochter und steht mit Sack und Pack in ihrer Wohnung. Und schnell stellt sich raus: doch nicht so ein Traummann. Nur, wie wird sie ihn jetzt wieder los? Wo er doch ihretwegen seine Familie verlassen hat?

Ich gestehe: ich bin mit Henrike Heiland befreundet. Und normalerweise lese ich keine lustigen Frauenromane. Aber ich kenne das Genre, denn ich habe reichlich davon übersetzt. Und weiß, dass es auch diese Sorte Bücher in höchst unterschiedlichen Qualitäten gibt. Manche sind wirklich nett und lesen sich einfach so weg, andere sind kaum zu ertragen. Ich habe heute Nacht bis drei Uhr durchgelesen, weil es eben so ein Buch ist. Zum einfach immer Weiterlesen. Ohne großen Anspruch, aber nett.
„Von wegen Traummann“ ist – ich möchte fast sagen: logischerweise – voller Klischees (Reiterhof!) und bietet wenig Überraschungen; das gehört so, denn so funktioniert das Genre. Wundervoll ist, dass es die übliche Geschichte lustiger Frauenbücher umkehrt. In allen anderen geht es darum, den Traummann zu kriegen. Hier soll er weg. Hervorragend! Was ich auch sehr mag, ist, dass die Hauptfiguren so ihre Macken haben, aber nicht zu viele, und dass auch die Nebenfiguren einen Charakter haben dürfen und durchaus präsent sind, nicht nur Stichwortgeber. Und zu lachen gibt’s auch was. Schön, um einfach mal kurz abzutauchen. Badewanne, Balkon, Strand.
Henrike Heiland steht im Regal zwischen Heere Heeresma und Jakob Hein.

Kinderquälen als gesamtgesellschaftliches Phänomen

14. April 2010 | von Anselm Neft

414GCMCW7FL__SL500_AA300_Hans-Georg Behr: Fast eine Kindheit  (Eichborn, 2002)

Der Titel ist mehrdeutig. „Fast eine Kindheit“ legt zum einen nahe, dass wir es mit einer Autobiographie zu tun haben, die sich mit einer Kindheit, wenn auch nicht in ihrer chronologischen Gesamtheit befasst. Das „fast“ kann aber auch auf den autobiographischen Gehalt bezogen werden. Nicht nur, weil Erinnerungen unzuverlässig sind, sondern auch, weil Behr nicht durchweg im Sinn gehabt haben mag, eigene Erlebnisse exakt aufzuschreiben. Schließlich kann auch noch eine pädagogische Behauptung aus dem Titel heraus gelesen werden: Das, was das Kind hier erlebt, ist so von autoritärem Zwang und Traumata geprägt, dass von einer Kindheit, wie sie sein sollte, nicht gesprochen werden kann.

Behrs kindlicher Erzähler ist kein „Ich“ sondern ein „Man“. Die großbürgerliche Familie hat dem 1937 geborenen Jungen das „Ich-Sagen“ frühzeitig abtrainiert. Geschildert wird das Leben auf einem Gutshof in Österreich, die hierarchische Struktur von Familie und Arbeitswelt, die Bindung des Kindes an eine überforderte Mutter, die um die Reste ihrer musikalischen Karriere kämpft und nebenbei das Fehlen des Vaters, eines NS-Offiziers, durch Härte ausgleichen will. Geschildert werden auch die „antiklerikalen“ und „antifaschistischen“, aber gleichfalls prügelnden Großeltern, die bei aller Faszination unzugänglich und fern bleiben, sowie das vielfältige Personal der spätfeudalen Struktur. Wir lernen aus den Augen des Kindes Nazigrößen wie „Onkel Hermann“, „Onkel Josef“ und „Onkel Heinrich“ und die Hautevolee der damaligen Salzburger Musikwelt (Wagner, Furtwängler, Strauss)  kennen, erleben Bombenangriffe, Russenbesatzung und die scheinbare politische Kehrtwende nach der Kapitulation Nazideutschlands im Mai 1945, der Zeit, ab der das Kind beginnt zu stottern.

Das letzte Drittel des 360 Seiten langen Buches befasst sich vorwiegend mit der bedrückenden und durch und durch missbräuchlichen Atmosphäre, der das Kind in einem katholischen Internat ausgeliefert ist. Die Verquickung von Gehorsam, unterdrückter Sexualität, Sprachlosigkeit, Spitzeltum und alles durchdringender Verlogenheit wird auf manchen Seiten so greifbar, dass es dem Lesenden die Luft nimmt. Die Stärke der Schilderung liegt auch hier in der schlichten und vorurteilslosen Perspektive des Kindes, die Sprechweisen entlarvt, resistent ist gegen Pathos und intellektuelle Mätzchen und die für keine Ideologie oder Schwarz-weiß-Moral Partei ergreift, sondern nur für die unschuldigen Bedürfnisse eines Individuums.

Durch diese teilweise überaus unterhaltsame Distanz zwischen Kind und Umwelt, die natürlich der narrative Trick eines Erwachsenen ist, ergeben sich gerade bei radikal subjektiver Erzählhaltung Einsichten in überindividuelle Zusammenhänge.

Wer die Autobiographie von Thomas Bernhard liebt und mit Interesse einen Film wie Michael Hanekes „Das weiße Band“ gesehen hat, sollte unbedingt einen Blick in „Fast eine Kindheit“ werfen, auch wenn Behr in erster Linie Journalist und stilistisch mit Bernhard nicht zu messen ist.

Zum Schluss möchte ich drei Passagen des Buches wiedergeben, um dessen Stil zu illustrieren:

„Ein nur etwas geringerer Schrecken war das Krokodil. Bei seinem ersten Auftreten hatte es dieselbe Aufgabe wie der Schürzengeist, da es aber nur mit seinem langen Schnabel klapperte, fehlte ihm die letzte Gewalt, und man konnte es hassen. Es war auch wirklich sehr lästig. Oft tauchte es nämlich unvorhergesehen am Horizont des Kindes auf, auf der anderen Seite der Tischkante, und entriss ihm das Spielzeug, das gerade Seele angenommen hatte. Dann war meist wiederum Essenszeit, doch das Kind wollte nicht mehr essen. Das Krokodil wurde ein Feind erster Ordnung – ein Wort, das dem Kind aus dem Radio ins Hirn gefallen war – (…) nun war dem Krokodil der Krieg erklärt, und der musste bis zum Endsieg durchgekämpft werden.“

„Onkel Hermann grinste über das ganze Gesicht, das sehr viel war, und gab der Mutter einen sehr aufwendigen Handkuss (. . .). Dann näherte er sich dem Kind, fasste sein Kinn, drückte es ganz fest und zog ihm die Lefzen so hoch, dass es nur noch „Au!“ sagen konnte.“

 „Einmal hatte man vom Suderer einen fürchterlichen Anschiss und einen Pinsch bekommen, weil man auf die Frage, was Gott denn so tue, „er sitzt im Himmel und spielt“ geantwortet hatte. Er hätte doch seinen eigenen Sohn auf die Erde geschickt, damit ihn die Juden umbringen, und er hätte ihn als Juden auf die Erde geschickt, damit sie ihn umbrächten, und dann habe er die Juden verdammt, weil er gewusst hatte, dass sie es tun würden, weil er auch noch allwissend ist. So war es richtig, und es war so widerlich, dass der Junge am liebsten nicht an Gott dachte.“

Nadia Budde: Such dir was aus, aber beeil dich! Kindsein in zehn Kapiteln.

3. April 2010 | von Isa

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So ein schönes Buch! Im Pappschuber, mit einem Fenster darin, durch das man das Bild auf dem Einband sieht. Der Einband ist ansonsten aus blauem Leinen, das Papier ist wunderschön, es gibt ein blaues Lesebändchen, und das Buch ist durchgehend farbig bebildert. Es erzählt Nadia Buddes Erinnerungen an ihre Kindheit im ostberliner Plattenbau. Mit den Großeltern auf dem Land. Das Ergebnis sieht aus wie ein Kinderbuch, ist aber gar keins. Auch wenn es im Internet als „Jugendbuch“ bezeichnet wird, das ist doch Quark, seit wann interessieren Jugendliche sich für Kindheitserinnerungen, die aussehen wie ein Kinderbuch? Inhaltlich ist das nicht so belanglos, wie es klingt, Nadia Budde erzählt über Seen und Nasen, über Stadttod und Landtod, Stadtkinder und Landfrauen und überhaupt über die DDR und das Kindsein und was man da alles nicht versteht. Und es ist wieder ein Buch, was so wundervoll riecht. Rochen meine Kinderbücher so, oder warum entzückt mich dieser Duft immer so? Es ist jedenfalls der Duft von Farbe. Wunderschönes Buch. Das fand die Stiftung Buchkunst auch und hat es zum zweitschönstes Buch des Jahres 2009 gekürt. (Das schönste war der Atlas der abgelegenen Inseln.) Wer Freude an schönen Büchern hat, und wer die sowieso ganz wunderbare Nadia Budde mag, braucht dieses Buch.

Im Regal wohnt Nadia Budde zwischen Lothar-Günther Buchheim und Maximilian Buddenbohm.