Archiv für May 2010

Johannes Freumbichler: Philomena Ellenhub.

31. May 2010 | von Anselm Neft

CIMG1054So, wie es seelentötenden Volksschlager und herzerfrischende Volksmusik gibt, so finden sich neben abgeschmackten Heimat-romanen auch kraftstrotzende.  ”Philomena Ellenhub” reiht sich unter die letztgenannten. Der   1937 erschienene „Salzburger Bauernroman“ wurde zwar vor Drucklegung vom Zsolnay-Verlag  behutsam von über 1000 auf etwa 500 Seiten gekürzt, verströmt aber immer noch eine Gemächlichkeit, die effizienzoptimierende Lebenszeitnutzer auf eine harte Probe stellt. Das ahnen Leserin wie Leser bereits beim Eröffnungssatz: „Die Landschaft, worin unsere Erzählung wurzelt, bildet ein Tal, flankiert von Wäldern, fast noch so dicht wie in den Zeiten, wo Hirsch und Eber darin hausten, und von Höhen bis über tausend Meter; doch weil das Gebirge dahinter Felsen aufweist, bis zu zwei- und dreitausend, nennt man es das „Flachland“.  Hier wächst die Protagonistin in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts heran. Zu Beginn des Romans ist Philomena aus dem stolzen Bauerngeschlecht der Ellenhuber zwölf Jahre alt. Die Eltern sterben und sie und ihre Geschwister werden auf unterschiedliche  Höfe und Handwerksbetriebe verteilt. Mena arbeitet sich beim protzigen Haginghofer und der strengen Haginghoferin vom „Kleinmensch“ zur „Kleindirn“ herauf.  Sie muss sich gegen Gehässigkeiten und Zudringlichkeiten erwehren, findet unter dem Gesinde Freunde, empfängt nachts am Fenster ihres Zimmers Liebhaber, bekommt ein Kind, muss es als Unverheiratete zur „Kinderkathl“ geben und sich nach einer neuen Stelle umsehen. Erst arbeitet sie beim schrulligen Ehepaar Kröll, dann beim gewitzten „Butterkönig“.

Gen Ende des Buches und vielleicht in der Mitte ihres Lebens kommt Mena zu der Einsicht, dass es „vernünftiger war, weniger am Leben teilzunehmen und es mehr zu beschauen.“ Bis dahin hat sie in der kleinen, abgeschlossenen Welt des Dorfes genug erlebt, um sich viele existenzielle Fragen zu stellen: Sie verliert ihr Kind, ihren Großvater und einige Geschwister an Krankheiten und Krieg. Ihr Geliebter, der Wilderer Toni, verendet an einer Schusswunde in ihrem gar nicht mal kitschigen Beisein. Der Ellenhuber Hof wird versteigert, ein Brand vernichtet große Teile des Dorfes, ein Ausflug nach Wien erweist sich als Ernüchterung: hier sind die Armen viel elender als die Armen im Dorf.

Bei all diesen Krisen bleibt Menas Leben erfüllt von Lebenslust und Vertrauen in einen guten Urgrund aller Dinge. Mena wird als starke Frau gezeichnet, die früh Verantwortung für sich und andere übernimmt, viel nachdenkt und versucht aus Fehlern zu lernen. Die Feste feiert sie, wie sie fallen, und dafür gibt es genug Gelegenheiten: Hochzeiten mit ausufernden Singspielen (das Buch führt etliche Liedtexte, teils in Mundart auf), kirmesartige Vergnügungen, Wiedersehen mit den Geschwistern oder den Wettlauf der Siebziger, in dem ihr geliebter Großvater die anderen Alten des Dorfes besiegt. Dieses Wettlauf-Kapitel zählt zu den vielen eindrücklichen Episoden des Romans. Eine anderes großartiges Kapitel lautet „die Versammlung“ und beschreibt eine politische Debatte in einem Gasthaus am Vorabend der Revolution von 1848. Revolutionäre, Reformer und Konservative liefern sich unter den Zwischenrufen der Bauern und Krämer ein Wortgefecht, das gleichzeitig lebensecht und exemplarisch wirkt und an literarische Großtaten wie Zolas „Germinal“ erinnert. In der Beschreibung des einfachen, harten und doch lustvollen Landlebens zeigen sich bei Freumbichler Parallelen zu Knud Hamsuns „Segen der Erde“. Allerdings ist es kein Wunder, dass Zola und Hamsun bekannter sind als Freumbichler. Zwischen die erstklassigen Passagen mogeln sich immer wieder weitschweifige, verzückte Naturbeschreibungen und betuliche Betrachtungen über Gott und den Lauf der Welt, die entweder Philomena in den Kopf gedichtet, anderen Figuren in den Mund gelegt oder gleich vom allwissenden Erzähler altväterlich zum Besten gegeben werden: „Es gibt keine andere Rettung: du selbst in dir selber, das ist das höchste Geheimnis und eine Kraft ohnegleichen. So geht auch, meines Erachtens, in tief verworrenen Zeiten ein Volk zum Bauerntum zurück, weil es instinktiv fühlt, dass hier der Weg führt zur wahren Weisheit. Ein Hauptstück dieser Weisheit liegt im Gesetz der Sonderung, das, wie alle großen Gesetze, göttlicher Natur ist. Diese Sonderung heißt: Arbeit und Genuss, Ruhe und Bewegung, Werktag und Feiertag, Jugend und Alter, Mann und Weib, Krieg und Frieden.“

Wer nun in Freumbichlers Roman eine beizeiten herzhaft-reaktionäre Sichtweise vermutet, liegt richtig. Die Unterschiede der Stände und der Geschlechter werden zwar nicht durchgängig als naturgegeben wahrgenommen, aber für Freumbichler waltet in allem ein gerechter Weltgeist, der jedem Menschen gleichermaßen Freude und Leid zuteilt, ganz unabhängig von Schicht, Einkommen und Geschlecht. Ein wichtiges Instrument dieses Weltgeistes ist „die Majestät des Todes. Sie war gerecht und traf jeden ohne Unterschied, den Reichsten wie den Ärmsten; sie war mitleidlos, Mitleid verträgt sich nicht mit Gerechtigkeit.“

Die Größe des Romans liegt darin, dass Freumbichler vor allem die Kleinen und Schwachen zu Wort kommen lässt und ihre Sichtweisen ernst nimmt: Kinder, Außenseiter des Dorfes wie den religiösen Halbnarren „Die Ewig-Gerechtigkeit“, das Atheisten-Kind „Schinder-Pelei“, den verarmten Kunstmaler Peregrin, den gesetzlosen Wilderer Toni, die zwielichtigen Brüder „die drei heiligen Schneider“ und natürlich vor allem seine weibliche Hauptfigur, die sehr liebevoll dargestellte Philomena Ellenhub.

Johannes Freumbichler, 1881 in Henndorf geboren, hat in seinen Ausführungen genau dieses österreichische Kaff vor Augen. Als lebenslang erfolgloser und im Ort belächelter Schriftsteller hätte er über die engstirnige Welt der Bauern und kleinen Kaufleute, der Frömmler und selbstherrlichen Gutsbesitzer Gift und Galle spucken können. Tatsächlich lässt er den Kunstmaler einmal über die Dorfbewohner sagen: „Tiere, die von der Macht des Geistes keine Ahnung haben! Aufrecht gehende, dressierte Tiere.“ Genau dieser Maler gibt jedoch sein Leben in einer bizarren Opferung, die das Dorf vor dem weiteren Wüten eines Brandes bewahren soll.

Thomas Bernhard notiert über Freumbichler, seinen Großvater, der sein ganzes Leben dem Schreiben unterordnete, in der autobiographischen Erzählung „Die Ursache“: „Alle meine Kenntnisse sind zurückzuführen auf diesen für mich in allem lebens- und existenzentscheidenden Menschen.”  Immer wieder trug sich Bernhard mit der Idee, Freumbichlers Roman, der 1937 den Förderpreis zum Großen Österreichischen Staatspreises und somit immerhin etwas Aufmerksamkeit gewann, erneut heraus zu bringen. Allerdings konnte er sich nie dazu durchringen.

Ignatz Hennetmair, ein Freund von Thomas Bernhard, zitiert den Schriftsteller in seinem Tagebuch „Ein Jahr mit Thomas Bernhard“ mit den Worten: „Beim Weiterlesen habe ich schwache Stellen entdeckt. Alles ist viel zu schön, viel zu schön geschildert. Alles, was ich als scheußlich empfinde, findet mein Großvater schön”.

Ludwig Bechstein: Der Verdrüßliche. Illustriert von Axel Scheffler

31. May 2010 | von Isa

SchefflerVerdruesslichIch bin verdrüßlich!
Weil ich verdrüßlich bin,
bin ich verdrüßlich.

Sonne scheint gar zu hell,
Vogel schreit gar zu grell,
Wein ist zu sauer mir,
Zu bitter ist das Bier,
Honig zu süßlich!

Weil nichts nach meinem Sinn,
Weil ich verdrüßlich bin,
bin ich verdrüßlich.

Und so weiter. Der Verdrüßliche ist verdrüßlich, komme, was wolle. Und wenn alle um ihn herum tanzen und den Hut in die Luft werfen, wenn Winter, Frühling, Sommer oder Herbst ist: der Verdrüßliche ist verdrüßlich. So schreibt es Ludwig Bechstein.
Und Axel Scheffler hat das mal wieder so wundervoll illustriert, dass selbst der Verdrüßlichste nicht mehr verdrüßlich bleiben kann. Ich glaube, man kann einfach bedenkenlos alles kaufen, was Axel Scheffler macht. Erschienen ist es im Verlag Jacoby Stuart, den ich erst mit dem Halten von Eichhörnchen entdeckt habe. Die Webseite macht den Eindruck, dass die lauter so schöne Bücher machen. Kaufen! Und einem Verdrüßlichen schenken. Er wird dann weniger verdrüßlich sein, ich schwör.

Alan Bennett (Ingo Herzke): Handauflegen

30. May 2010 | von Isa

BennettHandauflegenDer Roman beginnt so:
Treacher saß unauffällig im hinteren Teil eines Seitenschiffs und bemerkte dennoch, dass er häufig angeschaut wurde. Er war groß, dünn und trug einen unfreundlich abweisenden Gesichtsausdruck, und wäre dies ein britischer Film aus den Sechzigern, hätte ihn der Schauspieler Raymond Huntley gespielt. Dieser war schon im wirklichen Leben ziemlich unangenehm und hatte sich in Ausübung seiner Kunst auf die Darstellung schlechtgelaunter Geschäftsleute und wichtigtuerischer Beamter spezialisiert.

Treacher ist nicht der einzige, der da in der Kirchenbank sitzt, die Kirche füllt sich mit immer mehr Prominenten, von hochrangigen Politikern über Banker bis hin zu Schauspielern und Fernsehsternchen. Sie alle sind zum Gedenkgottesdienst für Clive gekommen, der im zarten Alter von 34 Jahren gestorben ist. Niemand weiß, woran, aber man macht sich so seine Gedanken. Clive war Masseur, er hat die Reichen und Schönen massiert, und ihnen – je nach Bedarf und mit größter Diskretion – nicht nur die Hand aufgelegt. Alle sind erstaunt, dass so viele andere Prominente da sind, dass überhaupt so viele Leute da sind, sie alle dachten, sie gehören zu einem exklusiven, kleinen Kreis. Die Trauer um Clive ist bei den meisten weniger eine Trauer um Clive, als vielmehr die Angst davor, dass er ihnen etwas Unliebsames hinterlassen haben könnte. Und so rutscht die versammelte Upper Class auf den Bänken hin und her, während der Gottesdienst unter Anleitung von Pater Jolliffe seinen Lauf nimmt. Pater Jolliffe kannte Clive übrigens auch und wird, wie alle anderen Anwesenden, durch verschiedene Enthüllungen im Laufe des Gottesdienstes gehörig durch seine Gefühlswelt geschleudert.

Alan Bennett bezaubert hier wieder mal (wie schon in der Souveränen Leserin und Così fan tutte) mit seinem extrem britischen Humor, mit diesem feinen Ironieteppich, der der ganzen Geschichte zugrunde liegt; er nimmt Ängste und Befindlichkeiten aufs Korn und nimmt sie erstaunlicherweise gerade durch Unernst und Überdrehtheit ernst. Und auch dieser Bennett hier ist ebenso kurz wie die beiden anderen, keine 100 Seiten. Wer einfach mal was Kleines, Leichtes, unglaublich Charmantes, aber keineswegs Dummes lesen möchte: Alan Bennett. Dieser hier ist vielleicht der Lustigste von den dreien, die ich bislang gelesen habe. Ich liebe sie alle drei. Und alles andere von Bennett werde ich sicher auch noch lesen.
Bennett steht im Regal zwischen Benn und Bergengrün.

Gerbrand Bakker (Andreas Ecke): Juni

25. May 2010 | von Isa

BakkerJuni

Der Roman beginnt so:
„Gleich kommt Slootdorp“, sagte der Chauffeur. „Dort übernimmt sie ein neuer Bürgermeister“.
Sie schaut hinaus. Rechts und links breite Streifen Weide- und Ackerland, deren Ende nicht zu sehen ist. Hier und da ein klobiger Bauernhof mit rotem Ziegeldach. Zum Glück regnet es nicht. Rechts wird die Sicht teilweise von C.E.B. Roëll versperrt, die in ihren Papieren liest; bestimmt irgend etwas über das Dorf, zu dem sie unterwegs sind. Sie zieht die Handschuhe aus, legt sie sich auf den Schoß und klappt den Aschenbecher auf. Roëll seufzt. Einfach ignorieren. Noch nicht einmal das halbe Pensum, und es kommt ihr so vor, als wäre schon viel mehr als die Hälfte des Tages vorbei.“

Im Juni 1969 besucht die niederländische Königin Juliana das Dorf. Alle sind darauf vorbereitet, die Häuser sind geschmückt, Kinder überreichen Blumen und winken mit Fähnchen, die Volkstanzgruppe tritt auf, und so weiter. Für alle ist es aufregend, außer für die Königin, die macht das nämlich dauernd.
Ungefähr vierzig Jahre später sind die Kinder, die damals gewunken haben, die die Blumen überreicht oder den Königinnenbesuch geschwänzt haben, erwachsen und haben selbst Kinder, und die damaligen Erwachsenen sind alt. Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht die Familie Kaan: Oma Anna Kaan, die sich gelegentlich mit einer Flasche Eierlikör und ihrem Herzeleid auf den Heuboden verzieht und erst nach einer Weile wieder herunterkommt. Ihr Mann Zeeger, der auch nicht weiß, was er tun soll. Sohn Klaas, der den Hof verkommen lässt, seine Brüder Jan und Johan, die ebenfalls ihr Päcklein zu tragen haben, und Dieke, die fünfjährige Enkelin, die sich vieles nicht erklären kann. Und diverse andere Dorfbewohner, die durch verschiedenste Vorkommnisse, von denen viele mehr oder weniger mit dem Besuch der Königin zusammenhängen, mit den Kaans verbunden sind. Allesamt sehr eindrückliche Charaktere, alle sehr plausibel, alle mit ihren Macken und Verletzungen.
Die Geschichte entblättert sich, indem Bakker in kurzen Kapiteln mal dieser, mal jener Figur folgt; alles findet an einem einzigen Tag im Juni statt, rückblickend auch am Tag des Königinnenbesuchs vor fast vierzig Jahren. Dauernd gehen Dinge kaputt, und es wird viel Radio gehört.
Ein paar Themen kehren wieder, die Bakker schon in Oben ist es still behandelt hat, auch die Stimmung ist ähnlich; aber es ist doch ein sehr neues, sehr anderes Buch, und es ist ebenso wunderbar. (Und ebenso wunderbar übersetzt von Andreas Ecke.) Extrem lakonisch, im Klappentext steht „so wortkarg wie wortstark“, das trifft es sehr gut.
Was mir auch gefällt: dass am Ende nicht alles gelöst ist. Es werden alle weiter an ihrem Päckchen zu tragen haben, es hat nur einige Verschiebungen gegeben. Und ein paar Enden hängen noch lose herum. Aber wir brauchen auch gar nicht zu wissen, wie diese Geschichten weitergehen. Die Figuren sind uns für eine Weile nahe gekommen, und jetzt verlassen wir sie wieder. Großartiges Buch, lesen!
Im Regal hat Gerbrand Bakker prominente Nachbarn, nämlich Nicholson Baker und Honoré de Balzac.

Paul Torday (Thomas Stegers): Charlie Summers

24. May 2010 | von Isa

TordaySummersDer Roman beginnt so:
Das Geld kam aus dem Nichts. In den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts wurde die Welt wie nie zuvor von Geld überschwemmt. Die Zeitungen sprachen von einem „Chash-Tsunami“, mit einer Begeisterung, die jedes Urteilsvermögen vermissen ließ. Aber das war bezeichnend für die Situation, wie sie sich für uns im Geldgeschäft damals darstellte. Investmentbanken, Hedgefonds, Prime Broker, Hypothekengeber, Privatkundenbanken: Alle warfen mit Geld nur so um sich.

Irgendwo in diesem Riesengeschäft mit dem Geld befindet sich Hector Chetwode-Talbot, genannt Eck. Er versteht nicht wirklich etwas vom Geldgeschäft, lernt aber gerade genug, um seinen reichen Freunden so weit den Mund wässrig zu machen, dass sie in den Hedgefonds seines Chefs Bilbo investieren. Es ist sein Job, neue Kunden zu akquirieren, und da er aus entsprechenden Kreisen stammt, reichlich Leute kennt und mit Messer und Gabel essen kann, ist er ein guter Mann für diesen Job und verdient gutes Geld. Seine Freunde legen ihr Geld bei Bilbo an, unter anderem sein alter Freund Henry Newark.
Eck und Henry lernen eines Tages Charlie Summers kennen, einen Kleingauner, der mit immer neuen Geschäftsideen immer wieder scheitert und sich mehr schlecht als recht durchs Leben schlägt. Immer wieder taucht er in Henrys oder Ecks Nähe auf, mal zufällig, mal absichtlich, immer pleite. Wer ihm Geld leiht, bekommt es ziemlich sicher nicht zurück. Naja, und wie die Sache mit dem großen Geld und den riskanten Anlagen und den Hedgefonds und den faulen Immobilienkrediten ausgeht, ist ja bekannt.
Das Buch war mir angepriesen worden als Gesellschaftssatire, als hochkomische Beschreibung der englischen besseren Gesellschaft, der Finanzkrise und so weiter. Nun gut, es ist schon alles ungeheuer britisch, das macht großen Spaß. Ansonsten fand ich es irgendwie mittel. Also, tatsächlich nicht schlecht, aber es reißt mich auch nicht vom Hocker. Und dann am Ende, als ich hoffte, das Ende könnte es noch rausreißen: leider verspielt. Kurz vorher schon einen Dreh zu viel reingebracht, und dann am Schluss zu dick aufgetragen. Mochte ich nicht. Fazit: *achselzuck* Kann man schon gut lesen. Muss man aber nicht unbedingt. Ganz nett, wenn man sowieso gerade in Großbritannien ist.

Paul Torday bekommt einen Regalplatz zwischen Friedrich Torberg und Sue Townsend.

Deutschlandbecher

21. May 2010 | von Modeste

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Diesen Text widme ich meinem lieben J.

Für den Grill Royal sprechen insbesondere seine Gegner. Mit einer Versammlung all derjenigen, die das Essen als mittelmäßig, die Gäste als unelegant, das Interieur als abgeschabt und die Tische als zu eng gestellt tadeln, möchte man einen Abend aus verschiedenen Gründen durchaus weniger gern verleben als mit den Menschen, die ganz gern an der Weidendammbrücke essen, obwohl – aber kommt es darauf an? – der größere Teil der Kritik als eigentlich schon eher ziemlich berechtigt gelten muss. Der Service etwa ist immer charmant, aber nur, wenn man Glück hat, professionell. Teuer, zumindest für die insgesamt noch immer bescheidenen Berliner Verhältnisse, ist der Grill auch, und ein nicht ganz unerheblicher Teil der servierten Speisen ist mit der Bestellung ab und zu nicht oder nur teilweise identisch. Auch die Steaks, dies sie hinzugefügt, sind im Filetstück besser.

Der J. liebt den Grill trotzdem. Im Grill ist er glücklich. Der J. mag die roten Lampen, die sofahaft weichen Bänke und die offenen, flämisch anmutenden Kühlschränke mit dem hängenden, nein: prangenden Fleisch. Der J. mag das Holzboot an der Stirnseite des Raums, die Raucherlounge mit den Photos sehr schöner Frauen, die Frauen im Grill generell, diesen bisweilen schon ganz leicht herbstlich verschatteten Typus wie aus französischen Filmen mit Romy Schneider oder Catherine Deneuve und die ganz jungen, vor Vitalität berstenden Mädchen, die Champagner bestellen, weil sie von Wein nichts verstehen. Außerdem liebt der J. Fleisch. 300 Gramm Filet also für den J., Rosmarinkartoffeln, Bohnen, den Grill Royal Salat vorweg und für mich 180 Gramm Filet Tagliata. Ein Cygnus. Ein Drink an der Bar vorweg, denn unser Tisch ist noch nicht frei.

Der Grill ist voll. An dem Tisch, der unser Tisch werden wird, gestikuliert eine spanisch oder italienisch wirkende Frau um die vierzig in einem geschlitzten, weißen Top mit Fledermausärmeln. Neben uns an der Bar steht eine sehr, sehr schöne Russin oder Ukrainerin und bestellt einen Wodka Sour. Genießerisch, versonnend lächelnd lässt der J. seinen Blick durch den Raum schweifen, betrachtet (wie man annehmen muss) die anwesenden Frauen, begutachtet ihre Kleider und ihren Schmuck und dann dreht er sich nach dem Barkeeper um: Ein Dry Martini. Anschließend fällt sein Blick auf die Theke. Der J. runzelt die Stirn. Stucki, Uslar, Fetisch, steht auf einem in das Holz eingelassenen Messingschild. Der J. schaut ungehalten.

“Der Idiot”, röchelt der J. und verzieht das Gesicht. Ich rechne. Zehn Jahre oder mehr liegen zwischen einem Abend im Hannoveraner Schauspielhaus, dem der J. als gebürtiger und selbstbewusster Niedersachse oblag, und dem heutigen Abend, doch frisch, besorgniserregend frisch geradezu, hat sich das Missfallen des J. konserviert, der gegen den ihm bis zu diesem Abend unbekannten Moritz von Uslar damals eine heftige Abneigung gefasst hat. Ich kann mich an von Uslar kaum erinnern.

Die Bücher von Stuckrad-Barres dagegen hat der J. gern gelesen. Soloalbum, damals vor hundert Jahren, auch gern und vielfach verschenkt, die nächsten Bücher immerhin noch halb zerstreut am Strand durchblättert, und auf Anfrage stets als “ganz gut” markiert, was auf der Skala niedersächsischer Lobreden schon recht hoch zu veranschlagen ist. Die Niedersachsen loben nämlich nicht so gern. “Hat der nicht ein neues Buch …?”, überlege ich laut vor mich hin, und dann kommt der Kellner. Der Tisch ist jetzt frei. Ganz schnell (ich bin hungrig) esse ich ungefähr zwei, drei Scheiben Brot mit ziemlich viel Öl und sehe den Salzschuppen dabei zu, wie sie gemächlich im Öl zergehen.

Irgendwann kommt dann auch Essen. Wir sprechen über gemeinsame Bekannte, über ein sehr schönes Bild, das wir gern hätten und das “Nordwand” heißt, über Leute, die in Townhouses ziehen, und über Katzen. Über Bücher sprechen wir auch. Ob von Helmut Krausser noch einmal etwas Großes kommt, etwas Wuchtiges, Schwarzes, blutig wie ein englisches Steak und ungeschlacht wie Gesänge aus anderen Zeiten. Ob man gegen Elke Heidenreich nicht etwas Wirksames unternehmen kann, ob es Daniel Kehlmann gut täte, sich unsterblich, aber unglücklich zu verlieben, dass wir beide das Buch von dieser Frau Schmidt nicht gelesen haben über eine Rekonvaleszentin, das letztes Jahr den Buchpreis gewonnen hat, weil wir nur noch Bücher von schönen Menschen lesen möchten, denn das Leben ist kurz.

So ein Steak ist dann eigentlich schnell gegessen. Man trägt ab. Ich werde leider voraussichtlich noch dieses Jahr platzen, der J. aber kann sich das Nachtischessen noch leisten. Crème Brûlée soll es sein, murmelt der geschätzte Gefährte, vielleicht auch die Schokoladenvariation, genau weiß man das noch nicht, und ordert doch noch einmal in der Karte. “Deutschlandbecher.”, sagt der J. auf einmal und schaut mich traurig an. Ich nehme ihm die Karte aus der Hand. Für € 20 erhält man einen Eisbecher und das neue Buch von Benjamin v. Stuckrad Barre, das Texte enthält, die mit “Zeitgeistreportage” nicht ganz zutreffend umschrieben sind.

Literarisch sind diese Texte schon, nimmt man alles in allem, fiktional dagegen sicherlich nicht, Miniaturen der Gegenwart, sehr genaue, sehr gut ausgeleuchtete Beobachtungen von jemandem, der das Auge hat, dies alles zu sehen, und dem die Worte gehorchen, die Welt zu beschreiben. Wie ein Reisender beschreibt Stuckrad-Barre in den besseren seiner Texte die Gesellschaft, mit der sich auch das Fernsehen beschäftigen mag oder die Gala, und bisweilen gewinnen seine Sujets dabei einen sonderbaren, surrealen Reiz. Noch interessanter, dies aber mag individuellen Spleens geschuldet sein, wäre sicherlich die Lektüre, würde sich Stuckrad-Barre mit einem Ausschnitt der Gesellschaft beschäftigen, der speziell vielleicht mein Interesse in höherem Maße erregen würde als der Vorsitzende der FDP Guido Westerwelle oder der Schauspieler Til Schweiger, aber langweilig, nicht lesenswert gar, ist diese Sammlung nicht. Zumindest aber ist es Stuckrad-Barre gelungen, den J. schnell und wirksam zu deprimieren.

“Dabei ist der jünger als ich.”, lächelte der J. nach ein paar dumpf verbrüteten Minuten des Vergleichs der eigenen, insgesamt überschaubaren Lebensleistung mit dem durch einen Nachtisch in seinem Lieblingsrestaurant gefeierten Autor tapfer vor sich hin und versucht, offenbar vergeblich, sich eigener, ebenso rauschender Erfolge zu erinnern.

(Dass aber dann nicht einmal das Buch vorrätig war, nahm der J. hin wie jeder gelernte Berliner die Unregelmäßigkeiten im Dienstleistungssektor dieser Stadt aushält. Dass das Buch signiert doch eintraf, fast zwei Wochen später per Post, erfreute den J. als eine unerwartete, glückliche Fügung des Lebens, und dass der Deutschlandbecher sehr banal aus drei Eissorten bestand, die in einer Art Stielglas aufeinander geschichtet serviert wurden, war dem J. nicht einmal einen Kommentar wert, denn unabhängig vom Essen eigentlich ist der J. im Grill glücklich, und was der Grill serviert, ist dem J. recht.)

Das Buch, lässt der J. ausrichten, habe ihm gefallen.

(Benjamin v. Stuckrad-Barre, Auch Deutsche unter den Opfern)

Warum wir welche Geschichten gerne lesen

18. May 2010 | von Kaltmamsell

Angela Leinen, Wie man den Bachmannpreis gewinnt

Leinen_Bachmannpreis Es gibt Leute, die die Klagenfurter „Tage der deutschsprachigen Literatur“, vulgo den Bachmannpreis, leben und feiern wie andere Leute (viel, viel mehr Leute) die Fußballweltmeisterschaft – ein mir ausgesprochen sympathisches Spinnertum. Seit 2004 gehört auch Angela Leinen dazu, die ich als Autorin des Blogs Sopranisse kenne. Aus ihrem Blog weiß ich unter anderem, dass sie ganz besonders gerne und viel liest und dass es in ihrer jugendlichen Vergangenheit Walter Kempowski gab.

Das Ergebnis dieser beiden Interessen, Bachmannpreis und Lesen, ist ein Buch: Wie man den Bachmannpreis gewinnt. Angela Leinen hat eine Art Poetik geschrieben, aus der Perspektive einer Leserin und erfahrenen Bachmannpreisbesucherin. Und zwar in einem Tonfall, der gerade durch Leichtigkeit und Ironie verrät, mit wie viel Leidenschaft sie für diese Themen brennt.

Zwar richten ihre Tipps sich tatsächlich vor allem an dem Ziel aus, den Bachmannpreis zu gewinnen, doch formuliert sie durchaus allgemeine Handreichungen, wie und worüber sich gute Geschichten schreiben lassen. Hilmar Klute hat das Buch im Aufmacher der jüngsten Wochenendbeilage der Süddeutschen Zeitung (leider nicht online) als Beispiel für die Umtriebe der Nichtexperten als Rezensenten genannt: „An der Entzauberung der Kunst wird also nicht allein im Internet gearbeitet.“ Was lediglich belegt, dass Herr Klute das Buch nicht gelesen hat: Es geht nicht um Entzauberung, sondern um Reflexion. Die Autorin bezieht sich dabei auf eine ganze Reihe namhafter Werke, die sich über das Entstehen von Geschichten Gedanken machen. Andererseits steht Hilmar Klute mit seiner Anmerkung in der guten deutschen Tradition des romantischen Geniekults: Sobald Kunst Können erkennen lässt, ist sie keine Kunst mehr. Und wenn ich an so manche ungelenke Inhaltsangabe denke, die die Süddeutsche Zeitung als Buchrezensionen verkauft, ist mir eine Angela Leinen mit ihrer ungeheuren Belesenheit und Analysefertigkeit deutlich lieber.

Angela Leinen schreibt über geeignete Stoffe für Bachmannpreisgeschichten, von A für „Arbeit, gute ehrliche“ über E für „Ex, Abrechnung mit der/dem“ und K für „Krankheit und Siechtum“ bis X für „XY ungelöst“ – zählt Folgen der und Beispiele für die Behandlung dieser Themen auf und schließt dies jeweils mit Stichpunkten zu Reizen und Risiken der Sujets ab. Sie lässt sich ebenso aus über die Perspektiven beim Erzählen und deren Auswirkungen, über Schauplätze, Motive und die Sorgfaltspflicht von Autoren. Dazwischen stehen Gastbeiträge von Menschen aus dem Literaturbetrieb, die also beruflich Kriterien für die Beurteilung von Geschichten haben, nicht nur als Leser. Kathrin Passig hat das Vorwort geschrieben und macht sich darin Gedanken über die Messbarkeit literarischer Qualität und die besondere Rolle, die dabei der Bachmannpreis spielt. (Wenn allein schon der Versuch einer Objektivierung von Beurteilungskriterien Entzauberung ist, dann hat Hilmar Klute allerdings doch recht. Aber dann ist die gesamte Literaturwissenschaft eine einzige Entzauberung.)

Ich hatte mich sehr auf das Buch gefreut und las es mit Genuss und Belehrung. Sehr schön fand ich unter anderem das Kapitel über Schauplätze (Venedig geht nur noch mit wirklich originellem Twist) und das kluge Nachdenken darüber, warum welche Sexszenen funktionieren und andere nicht. Manchmal passten die Überlegungen allerdings nicht ganz zum Buchtitel – vielleicht wäre das Buch runder geworden, wenn es die Gedanken zum Geschichtenschreiben völlig unabhängig vom Bachmannpreis formulieren hätte können.

Nebenher tauchen die ganzen 190 Seiten über als positive Beispiele ständig Bücher auf, die ich noch nicht kannte und umgehend lesen wollte. Seien Sie also gewarnt: Wenn Sie auf Angela Leinens Sicht anspringen, beenden Sie die Lektüre des Buches nicht nur mit einem Lächeln in den Augenwinkeln, sondern auch mit einer ziemlich langen Wunschliste.

Ralf Rothmann: Feuer brennt nicht

9. May 2010 | von Isa

RothmannFeuerDer Roman beginnt so:
Wie alltäglich oder unbedeutend die Reise auch sein mag, wie trist der Bahnhof und wie voll das Abteil mit den lärmenden Kindern, den ungelenk sich abmühenden Kofferträgern und den Keuchenden, die es gerade noch geschafft haben: Wenn alle Ansagen gemacht und alle Türen geschlossen sind und jeder auf das Anrucken des Zuges wartet, gibt es nicht selten einen Moment der Stille, der mehr zu meinen scheint als das unausgesprochene „Endlich!“ oder die Entfernungen zwischen hier und da, der einem wie ein geheimnisvolles Innehalten vorkommt, ein Atemholen der Zukunft, und die meisten Menschen, selbst die misslaunigen oder ungeduldigen, einen Herzschlag lang demütig aussehen lässt.

In dem Zug sitzen Wolf und Alina, sie fahren raus aus Berlin, nach Friedrichshagen, sie ziehen nämlich aufs Land. In Kreuzberg ist es nicht mehr auszuhalten, und am Stadtrand ist alles anders, da ist noch Osten, es gibt Natur und spießige Nachbarn. Wolf ist Schriftsteller und mehr als zehn Jahre älter als Alina; sie studiert Germanistik und Theaterwissenschaften und unterrichtet später Deutsch als Fremdsprache. Die beiden sind zwar schon ewig ein Paar, wohnen nun aber zum ersten Mal zusammen, was natürlich einige Schwierigkeiten mit sich bringt. Und dann taucht Charlotte auf, eine verflossene Geliebte von Wolf.
Es passiert nicht sehr viel, aber das muss es ja auch nicht, solange die Sprache stimmt. Die Sprache ist poetisch, es gibt auch wunderbare Sexszenen, aber irgendwann schleicht sich ein ungutes Gefühl ein. Zunehmend vermischen sich beim Lesen Wolf und Ralf, der Autor, die Gefahr besteht ja sowieso, wenn der Protagonist Schriftsteller ist. Beziehungsweise ich bin dann meist schon von Anfang an ein wenig ungehalten, es drängt sich einfach der Verdacht auf, dass da einer über sich selbst schreibt. Was nicht grundsätzlich schlecht sein muss, aber. Fürchterlich wird es an Stellen wie zum Beispiel dieser, wo ein unglaublicher Zufall passiert, und er schreibt:
In einem Text würde er so ein Zusammentreffen niemals zulassen, weil es nicht glaubwürdig und die Schicksalhaftigkeit des Augenblicks zu offensichtlich wäre.
Weia. Entweder man schreibt eine solche Schicksalsbegegnung rein oder nicht. Aber reinschreiben und sich gleich dafür entschuldigen, muss nun wirklich nicht sein.
Die anfangs als poetisch empfundene Sprache kommt mir außerdem zunehmend manieriert und verschwurbelt vor, da suhlt sich einer in seiner literarischen Potenz ebenso wie der Protagonist sich in seiner sexuellen. Er wird einem immer unsympathischer, so ein notgeiler, selbstgerechter Egoist, und man hat nicht den Eindruck, dass Rothmann ihn absichtlich so unangenehm macht, denn, wie gesagt: Wolf und Ralf fühlen sich an wie eine Person. Dauernd erklärt er einem die Welt, die einzig und allein um Wolf kreist, den einsamen Wolf, der keine Freunde hat außer seiner Alina, die seltsam blass bleibt, denn es dreht sich ja alles nur um Wolf. Angereichert wird das dann noch mit einer ordentlichen Portion prätentiösem Künstlerquark („die innere Notwendigkeit des Schreibens“, und so Zeug). Und zum guten Schluss findet er für seinen auf 300 Seiten aufgebauten Konflikt keine Lösung, sondern stiehlt sich auf blödestmögliche Weise raus, wie weiland der alte Fontane mit seiner Effi. Ich kann so was nicht leiden.
Keine Ahnung, wieso ich so sauer bin. Ich wollte es gut finden, weil ich „Hitze“ super fand. Und weil Katy es gut fand. Hat aber nicht geklappt, ich war einfach zunehmend genervt.

Ralf Rothmann wohnt im Regal zwischen Philip Roth und Joanne K. Rowling.

Von der Liebe im Sterben

2. May 2010 | von Modeste

Feridun Zaimoglu, Liebesbrand

IMG_0055Die Liebe kommt über Zaimoglus Helden David wie ein Hieb: Verletzt liegt der deutschtürkische ehemalige Banker aus Kiel nach einem Busunglück in der Türkei auf der Straße, als eine junge, schöne Frau mit einem auffälligen Ring erste Hilfe leistet und ihn tränkt. David verliebt sich nicht: David fällt in Liebe.

Mit nichts als dem Ortskennzeichen ihres Wagens und der Erinnerung an ihr Schmuckstück fährt er – nach einigen Tagen im Krankenhaus zurückgekehrt nach Deutschland – erst nach Nienburg, wo sie wohnt, um sie dann quer durch die geschichtengetränkte Mitte Europas, Prag und Wien, zu verfolgen. Tyra aber – so heißt die fremde Frau – bleibt David gleichgültig. Mehr als eine Nacht wird David von Tyra nicht erhalten, und in ihrer sonderbar somnambulen Kühle spürt man eine Irritation, etwas Lebloses vielleicht, und selbst ihrer Bekehrung zum Katholizismus haftet etwas Verneinendes, Lebensfeindliches an. Fast bedauert man David für seine so spröde Wahl, wenn es denn eine Wahl wäre und nicht vielmehr Schicksal und Verhängnis. Für die wärmere Zuneigung der Pragerin Jarmila bleibt David unerreichbar.

Zwischen David und Tyra geht es nicht um die Liebe, die mit Glück in einem Haus am See mit Rosen im Garten endet. Zaimoglu erzählt keine Geschichte von Freundlichkeit und Helle, und die märchen-, nein, legendenhaften Einschübe, die Monstren und Sonderlinge, die Davids Weg kreuzen, sind interessant, aber nicht liebenswürdig. Es ist hier die Rede von der schwarzen, der harten und spiegelnden Seite der Liebe, deren Pfade alle in den Hades führen, so dass die ersten Worte dieses Romans wohl in einem tieferen Sinne von Wahrheit künden, wenn es heißt:

„Es wurde dunkel, es wurde hell, dann aber starb ich.“

Es stirbt sich alles in allem recht gut in diesen Zeilen.