Aus dem Leben eines Luftikus

13. October 2009 | von

Thomas Klupp: Paradiso (btv 2009)

Alex Böhm, Filmhochschulstudent in den 20ern, steht in der Sommerhitze auf einer Raststätte bei Potsdam und wartet auf ein Auto. Eigentlich will er nach München, um mit seiner neuen Freundin Johanna nach Portugal zu fliegen. „Eigentlich“, weil er auch Angst davor hat und gar nicht traurig ist, als sich die Dinge anders entwickeln. Die Mitfahrgelegenheit erscheint nicht, dafür ein ehemaliger Klassenkamerad („Loserkonrad“), der es geschafft hat: Tolles Auto, tolle Freundin, toller Job.  Die Begegnung bleibt eine Episode unter Episoden: Der Fernfahrer mit Messer und tschechischer Ehefrau, das pornophile Bikerpärchen, das antrainiert fröhliche Hippiemädchen, der Taxifahrer, dem Jana Hensel mit ihrem Roman „Zonenkinder“ die eigene literarische Karriere versaut haben soll und andere.

Böhm verhält sich auf seiner Reise in die bayrische Heimat immer nett, zustimmend, harmoniestiftend, hat dabei aber nur sich selbst im Kopf und macht sich aus dem Staub, sobald sich eine Gelegenheit ergibt. In seinem langen, inneren Monolog offenbart sich mehr und mehr ein charakterloser Oberflächenmensch, der bindungslos durch ein in Parallelwelten zerfallenes Deutschland treibt.

Wer nun einen Autoren Anfang 30, einen Ich-Erzähler und als Erzählzeit das Präsens vermutet, liegt völlig richtig. Ein bisschen musste ich an Faserland denken, jedoch ohne königliche Tristesse, ein bisschen an Wäldchestag (auch wenn hier nicht die hessische sondern die oberpfälzische Provinz ins Visier genommen wird), ein bisschen an Ego und Ich und Kaminski, wenngleich Alex Böhm nicht ganz so offensichtlich als Karikatur angelegt ist wie die Protagonisten bei John von Düffel oder Daniel Kehlmann. Streckenweise bin ich Böhm auf den Leim gegangen und sehe darin eine Stärke der Figurenzeichnung.

Paradiso ist ein schneller Roman: Böhms Gedankenfluss zieht einen durch anfangs mehr später minder alltägliche Ereignisse, die in ihrer Bündelung und finalen Steigerung einen starken Sog entwickeln. Dabei bleibt Zeit für manche Kapriole: „Ich möchte ja insgesamt mit etwas mehr Liebe an die Welt und an die Menschen denken, jedenfalls an die Menschen, von denen ich glaube, dass sie mir etwas bedeuten. Mein kleiner Bruder zum Beispiel und eben auch Simon und Johanna  und Leni sowieso. Letztes Sylvester habe ich mir das offiziell vorgenommen. Auf einen Zettel habe ich geschrieben Believe in yourself/Write a movie/Think friendlier about yourself. Keine Ahnung, weshalb ich die Sachen auf Englisch notiert habe, vielleicht weil sie sich auf Deutsch so völlig verkorkst anhören…“

„Todkomisch, atemberaubend, genial“ und was der Lobesprüche auf dem Einband mehr sind – das ist dieses Buch nicht. Dazu geht das Konzept der Bloßstellung eines unzuverlässigen Ich-Erzählers zu wenig Risiken ein und schafft zuviel Distanz zur Hauptfigur und allen weiteren Charakteren. Die Tiefe eines Raskolnikoff, der im Buch erwähnt wird, kann die Figur des Böhm nicht für sich beanspruchen.

Aber Thomas Klupp ist ein guter Erstling über einen ehrlichen Lügner gelungen. Ein Buch, das viel Spaß macht und das ich hiermit als leichte, aber nicht unterfordernde Lektüre empfehle.

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