David Lodge, Deaf Sentence

2. January 2010 | von

Ich bin mir ganz sicher, dass David Lodge mit diesem Titel On His Deafness für seinen Roman Deaf Sentence gespielt hat – John Miltons “On His Blindness” ist für einen Literaturwissenschaftler, wie er einer ist, die unvermeidliche Assoziation.* Doch er entschied sich für das Spiel mit dem Wort deaf, das er, im Gegensatz zur Milton-Anspielung, durch den ganzen Roman ziehen kann (z.B. deaf on arrival, deaf in the afternoon, und den Lippenlesekurs nennt er deaf row). Die Übersetzerin ins Deutsche, Renate Orth-Guttmann, wird ihre Mühe gehabt haben; der deutsche Titel Wie bitte? ist ein Indiz.

Hauptfigur des Romans ist Desmond Bates, ein Linguistikprofessor jenseits der 60 im Norden Englands. Hauptthema ist seine Schwerhörigkeit, zu Herzen gehend und in vielen Details geschildert. Sie bildet den Hintergrund für die Handlung um den frühpensionierten Desmond, seine beruflich erfolgreiche Frau Winifred, Desmonds ebenfalls schwerhörigen und langsam pflegebedürftigen Vater in London, um die zwielichtige amerikanische Doktorandin Alex. Die äußere Form ist die eines Journals, das Desmond in seinen Rechner tippt, inklusive der Schreibpausen, die sich durch überstürzende Ereignisse ergeben.

Schon mit Anfang 40 wurde Desmonds Hörkraft immer schwächer und beeinflusste jeden Bereich seines Lebens. Die Ausführlichkeit, mit der die Geschichte uns in diese Details mitnimmt, hat mir zum ersten Mal eine Ahnung davon vermittelt, was das bedeutet. Aus allem aber spricht David Lodges typischer warmer Blick für die inhärente Komik: “Deafness is comic, blindness is tragic.” Die Kundigkeit der Schilderung ist nicht nur Ergebnis von Recherche; in den “Acknowledgements” schreibt Lodge: “The narrator‘s deafness and his Dad have their sources in my own experience.”

Manchmal wird die Komik zu bitterem Lachen: Es gibt einfach fast keine Interaktion, die nicht von Desmonds Schwerhörigkeit betroffen ist. Eingangs schildert er eine Unterhaltung zwischen sich und seiner Frau in der knappen Form, die wir aus Romanen gewohnt sind. Doch dann notiert er, wie dieses Gespräch tatsächlich verlaufen ist, nämlich an jeder Stelle durchsetzt von “What?”, Verhörern, Wiederholungen. Schon da wird klar, wie anstrengend jede Art mündlicher Konversation für einen Schwerhörigen ist. Oder die Frustration, am 2. Weihnachtsfeiertag festzustellen, dass die Ersatzbatterien fürs Hörgerät die falsche Größe haben und natürlich alle Kaufmöglichkeiten geschlossen sind. Interessanterweise taucht trotz einiger Sexszenen die Auswirkung von Schwerhörigkeit auf die Details im Bett nicht auf. Diese kenne ich aus Notquitelikebeethovens Beschreibung.

Deaf Sentence ist dennoch keineswegs ein Roman über Schwerhörigkeit, sie bildet lediglich einen intensiven Hintergrund. Die Geschichte erzählt Familienverwicklungen, Universitätsalltag, das Liebesleben nicht mehr junger Menschen, viel England. Und das mit David Lodges sprachlicher Leichtigkeit, die ich schon immer sehr schätzte.

*Nachtrag: Ich hätte vielleicht erst mal “On his Deafness” gogglen sollen. Das gibt es natürlich schon, und zwar seit 1734, nämlich als Gedicht von Jonathan Swift.

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