Proust lesen und scheitern

8. February 2010 | von

Combray / (1. Teil von) Du côté de chez Swann, Marcel Proust / (Neuübersetzung von) Michael Kleeberg

proust_combrayEs gibt Bücher, an denen man scheitert. Es gibt sogar solche, denen man in Vorfeld schon ansieht, dass man an ihnen scheitern wird. Diese Bücher nehme ich vorsichtshalber gar nicht erst in die Hand. Deshalb gehöre ich zu den zweifellos vielen Menschen, die Proust bislang nicht angefasst haben. Geschweige denn gelesen. Und ich werde es in diesem Leben vermutlich auch nicht mehr tun.

Weil ein solches Scheitern als Leser jedoch im Grunde nicht zu verantworten ist, erwischte ich mich vor Jahren schon dabei, wie ich zumindest die so genannte „Ouvertüre zu Prousts Jahrhundertroman“ käuflich erwarb. Combray, knapp 300 Seiten stark. Ein Klacks also.

Dennoch stand das „Büchlein” jahrelang ungelesen bei mir herum. Es wanderte vom Stapel der bald zu lesenden nahtlos hinüber auf das Regalbrett der irgendwann auf jeden Fall mal zu lesenden wichtigen Werke. Bis es schließlich sorgfältig ins Endgültigenflurregal eingeordnet wurde, wo es seither einen rechtmäßig erworbenen Platz auf einer Ebene mit Musils Mann ohne Eigenschaften und Nietzsches Gesamtwerk behauptet. Die alle tun bei mir so, als seien sie tatsächlich gelesen worden. Ein Werdegang, der bei Proust vermutlich nicht selten anzutreffen ist.

Jetzt habe ich mich doch endlich getraut. Und bin gescheitert. Natürlich. Dieses Handlungsnichts, alles ist Beschreibung und Sprache. Das ermüdet ungemein. Vor allem, weil ich es nicht kenne, dieses Zimmer, dieses Haus, den Ort und die Kirche. Ich erkenne nichts wieder, auch die Menschen nicht. Die Großeltern und Eltern, Swann und François. Der Junge selbst. Ich frage mich, ob es an mir liegt. Ob das alles nicht universell sein müsste. Universell sein sollte, auch in mir.

Es hilft nichts, ich bin auf der Suche, nach Geschehen, nach Gefühlen. Die auch da sind, immer wieder einmal. Das stimmt. Die Qual des Jungen, Nacht für Nacht. Wie er leidet und wartet. 70 Seiten lang. Nun ja. Es gibt schlimmeres, denke ich. Obwohl ich doch weiß, dass das Schlimme immer relativ ist.

Bezaubernd hingegen die aufgezeigten Mechanismen der Erinnerung. Das ist gut, das kenne ich. Wie den Geschmack dieser kleinen, länglichen Billiglutscher, zuckerummantelt, zu kaufen in durchsichtigen Plastiktüten, ein bunt gemischtes Zehnerpack, oben mit einem großen Pappschild zugetackert. Die gab es immer bei meiner Oma in Karnap. Du liebe Zeit, das ist gut 40 Jahre her. Doch jetzt, in diesem Moment, kommt es mir vor wie gestern. Was rede ich? Wie jetzt natürlich.

Das ist wohl die Erkenntnis, die ich aus diesem Buch ziehen sollte. Dass ich alt geworden bin. Alt genug, mich zu erinnern. Auf diese Art zu erinnern. Die Dinge, die Wege, das Licht. Der Geschmack, damals wie heute. Und dass ich mich nicht verändert habe, obwohl ich heute ganz anders bin. Dem Hirn ist Zeit nur eine Illusion.

Bleibt zuletzt noch die Frage, ob für das Erfassen solcher Momente nicht auch Lyrik ganz hervorragend geeignet wäre. Kurz und knapp. Und sicherlich ausreichend. Mehr kann ich zu diesem Buch nicht sagen. Selbst eine Zusammenfassung der Handlung bleibe ich schuldig, ich müsste sie anderswo abschreiben.

Der Übersetzer hingegen hat eine ganz andere Sicht gewonnen. Selbstverständlich, denn er wird Proust gelesen haben, mehr als nur das. Verinnerlicht vielleicht, verschlungen. So in etwa stelle ich mir das vor. „Wer Combray liest scheint plötzlich sehr viel mehr Augen zu haben, mehr Tastorgane, Schmeckorgane … “, sagt Michael Kleeberg. „ Proust, – das sind die Ekstasen der reinen Anschauung.“

Ja. Kann sein. Vielleicht. Ich kann es nicht sagen, ich bin gescheitert.

4 Responses to “Proust lesen und scheitern”

  1. engl @ absurdum » Blog-Archiv » engl liest proust Says:

    [...] scheitert. vielleicht. [...]

  2. Sammelmappe Says:

    Bezaubernd liest sich dein lesendes Scheitern. Oder ist es eher ein fühlendes Scheitern? Anmutig und zum Glück nicht 70 Seiten lang.

  3. leserin Says:

    Nicht schlecht der Artikel . Immer googlen nach lesenswerten Blogposts

  4. Common Reader» Blog Archive » Lesen oder nicht lesen Says:

    [...] ist das Grundkonzept des Buches. Niemand kann alles das lesen, was man so gelesen haben sollte. Soviel Lebenszeit gibt es gar nicht, schließlich hat man hin und wieder auch noch anderes zu tun. [...]