Chris Killen: Das Vogelzimmer

8. July 2010 | von

Auf diesen kleinen Roman bin ich wegen einer hymnischen Rezension gestoßen. Die war so toll, dass ich mir sogar einen Teil notiert habe, da schrieb nämlich Stefan Beuse im Titel-Magazin (leider nicht mehr online):

Wenn das also alles ist, geht’s darum auch in Chris Killens wundervoll spleeniger, herzzerreißend neurotischer und abgrundtief trauriger, schräg-schöner Liebesgeschichte Das Vogelzimmer. Aber auf diesen gerade mal 170 Seiten stehen Sätze, die den Himmel aufreißen lassen, die einen schluchzen machen können vor Glück.
Dieser Sprachkosmos ist durchweht von einem ganz eigenen Zauber, der einen so packt, dass die Liebesgeschichte auch auf „technischer“ Ebene funktioniert: Man kann sich als Leser ganz und gar in dieses Buch verknallen, und spätestens an dieser Stelle muss Henning Ahrens für seine Übersetzung gedankt werden, die so unglaublich gut ist, dass man froh ist, nicht den Originaltext daneben zu haben – einfach aus Angst, er könne nicht dieses magische Fluidum aufweisen, diesen sehr speziellen untergründigen Humor, diese Lebensklugheit und Größe.

Erstens kann mich eine solche Übersetzerhuldigung natürlich sowieso schon dazu bringen, ein Buch zu lesen, zweitens kenne ich den Herrn Beuse und habe seine Empfehlungen bisher gern gelesen.

Äh, Stefan? Was ist denn da passiert? Wo sind die Sätze mit dem magischen Fluidum, die den Himmel aufreißen lassen? Wo ist der Sprachkosmos? Ich sehe nur Sätze, die aus Subjekt, Prädikat, Objekt bestehen und nichts weiter. Fast ausschließlich solche Sätze, 170 Seiten lang, das erträgt doch kein Mensch.
Und sich in das Buch verknallen, nun ja, Geschmäcker sind ja verschieden, ich war jedenfalls zunehmend genervt. Die Figuren waren mir auch völlig egal, und wenn ich mich weder in die Figuren verknallen kann noch in die Sprache, dann bleibt nicht viel. Die Vögel vielleicht, aber die kommen ja nur auf den ersten paar Seiten vor, und dann ist unvermittelt Schluss mit Vögeln. Pun intended.

Der Roman beginnt so:
Gemälde kleiner Vögel. Zaunkönige, Rotkehlchen, Wellensittiche (ziemlich viele Wellensittiche). Alle leuchtend gelb, rot, braun, grün, ausgenommen die Taube. Die Taube ist grau.
Ich sitze auf dem Sofa. Sie sitzt neben mir. Sie hat die Beine übereinandergeschlagen. Zwischen uns ist ungefähr so          viel Platz. Will kocht uns in der Küche einen Tee. Die beiden sind sich hier zum ersten Mal begegnet. Die Idee stammt von mir.

Der Künstler Will (der mit den Vögeln) lernt also Alice kennen, und „ich“, Alices Freund, ist eifersüchtig. „Ich“ heißt zufällig ebenfalls Will. Und dann gibt es noch Helen, die früher Clair hieß. Alles klar? Ich-Will und Alice gehören zusammen, Künstler-Will und Helen gehören noch lange nicht zusammen, aber das soll noch werden, oder auch nicht. Erstmal lernen Künstler-Will und Alice sich kennen und Ich-Will platzt vor Eifersucht. Und am Ende gibt es, wie der Klappentext verspricht, eine überraschende Wendung, die genau die ist, mit der man die ganze Zeit rechnet, die aber trotzdem irgendwie wirr und nicht wirklich verständlich ist.

Es sind ein paar schöne Ideen drin, ja. Aber mir sind die Figuren alle zu krank. Ich will nichts über Paranoiker lesen, das ist mir irgendwie zu simpel, es ist so überzeichnet, dass ich die Figuren nicht ernst nehmen kann. Vor allem dann, wenn nicht eine, sondern sämtliche Figuren Psychopathen sind und niemand auch nur ansatzweise “normal”. Wer ein wirklich tolles Buch über rasende Eifersucht lesen möchte, dem empfehle ich Der Ursprung der Welt von Jorge Edwards. Das ist große Eifersuchtskunst. (Und außerdem eins der schönsten Buchcover aller Zeiten.)

Beuse begann seine Rezension mit einem Hinweis auf das in der Tat schnarchlangweilige Buch „Dshamilja“ von Tschingis Aitmatov, von dem Luis Aragon (und seither jeder Vermarkter) behauptet: „Ich schwöre, das ist die schönste Liebesgeschichte der Welt“. Und er schloss mit dem Satz:
Bevor Rückseitentextverfasser das nächste Mal leichtfertig etwas schwören, sollen sie bitte dieses Buch lesen.
Also, das Vogelzimmer jetzt.
Ich hingegen räume das Vogelzimmer mit demselben Gefühl ins Regal, mit dem ich auch vor Ewigkeiten Dshamilja weggeräumt habe, nämlich: äh, was war das denn? Ich habe außerdem gar keine Liebesgeschichte gelesen, sondern eine Pychopathengeschichte. So gesehen ist die sprachliche Fürchterlichkeit auch wieder passend, das wollen wir dem Buch mal zugestehen. Im übrigen glaube ich, dass Henning Ahrens’ Übersetzung wirklich sehr gut ist. Die Fürchterlichkeit muss vom Autor stammen.
Chris Killen steht im Regal zwischen Irmgard Keun und Esther Kinsky.

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