André Brink (Inge Leipold): Kupidos Chronik

16. August 2010 | von

Der Roman beginnt so:
Kupido Kakerlak kroch nicht auf die übliche Weise aus dem Mutterleib, sondern schlüpfte aus den Geschichten, die sie erzählte. Vielerlei Gestalt nahmen sie an, diese Geschichten. In einer hieß es, seine Mutter sei Jungfrau und riemendünn, und niemand habe auch nur geahnt, dass sie schwanger war. Bis der kleine Kümmerling da war. Ein andermal sagte man, sie sei seltsam lange recht deutlich schwanger gewesen, habe einen richtig dicken Bauch gehabt, drei oder vier Jahre lang, ehe dann der Berg eine Maus gebar. Je nachdem, wie sie gelaunt war und in welcher Phase der Mond gerade stand, behauptete sie, es sei gar nicht ihr Kind, sondern einfach von einem Fremden, der zufällig des Nachts vorbeigekommen sei und dessen Gesicht sie nie gesehen habe, in ihrer Hütte abgelegt worden, gleich nach der Geburt; die Nachgeburt habe noch an der Nabelschnur gehangen.

Es ist um 1760. Der Kümmerling Kupido Kakerlak wächst bei seiner Mutter, einer schwarzen Kontraktarbeiterin, auf dem Hof eines weißen Farmers in Südafrika heran. Eines Tages kommt ein fliegender Händler vorbei, dem er sich anschließt; er zieht einige Jahre mit ihm durchs Land und findet nach einem ausschweifenden Leben mit reichlich Frauen und Alkohol schließlich zum christlichen Glauben und schwört der Sünde ab. Kupido Kakerlak lernt in einer Missionsstation Lesen und Schreiben und wird der erste schwarze Missionar Südafrikas. Eine historische Figur, eine wahre Geschichte, wenn auch literarisch aufbereitet, im Nachwort heißt es: „Wiewohl der Roman in seiner vorliegenden Form fiktional ist, beruht er in den wesentlichen Grundzügen auf einer wahren Geschichte.“ Die übrigen (weißen) Missionare beispielsweise sind alle recht gut dokumentiert, Kupido selbst nicht ganz so gut, aber doch auch. Nur am Ende hat der Autor Kupidos tatsächliche Lebensgeschichte ein wenig abgeändert, aus, wie er schreibt „erzählerischen Gründen“, die ich allerdings nicht ganz nachvollziehen kann. Ich meine, man hätte gut bei der Wahrheit bleiben können, aber das mag Ansichtssache sein.
Erzählt wird im ersten Teil von einem allwissenden Erzähler, im zweiten Teil vom Missionar Reverend James Read, am Ende schließlich wieder vom Erzähler, sodass wir zwischen magischem Realismus und frommem Salbadern schwanken. Das salbungsvolle Geschwurbel des Missionars ist außerdem mit reichlich historischen Fakten über die politische Situation in Südafrika am Beginn des 19. Jahrhunderts gespickt; die Gemengelage zwischen Hottentotten, Buschmännern, Khoi, Xhosa, Missionaren, Kolonisten, vertriebenen Farmern, entlaufenen Sklaven, Engländern und Holländern ist nicht ganz einfach zu durchschauen. Ich fand diesen Teil stellenweise ein wenig anstrengend zu lesen, aber das liegt natürlich in der Person des Missionars und der politischen Situation begründet und passt von daher schon.
Mit dem magischen Realismus des ersten Teils kam ich überraschenderweise viel besser zurecht als ich dachte. Naturgeister und so was sind nicht gerade mein Thema, aber hier konnte ich sie gut haben, sie gehören hierhin, sie sind selbstverständlich, und ich bringe ihnen deutlich mehr Verständnis und Wohlwollen entgegen als der Frömmelei und diesem verdrehten Gedanken „Gott hat uns all das Leid geschickt, um unseren Glauben zu stärken“. Andererseits tut die Kirche hier tatsächlich auch Gutes – die Zweischneidigkeit des Missionierens tritt sehr schön zutage, ohne dass irgendetwas gewertet würde.
Ich habe das Buch von der Übersetzerin geschenkt bekommen, weil sie es so sehr liebt. Meine Begeisterung ist nicht ganz so überschäumend wie ihre, aber ich kann sie irgendwie nachvollziehen. Dieser Kupido Kakerlak ist eine faszinierende Person – manchmal möchte man ihn packen und schütteln, damit er zur Besinnung kommt, und genauso oft muss man ihn bewundern. Ebenso wie den Rest der Missionare. Und ich denke auch Tage später noch über Glauben und Aberglauben nach und über Sinn und Unsinn von Missionierungen.

André Brink bekommt einen Regalplatz zwischen Jean Anthèlme Brillat-Savarin und Charlotte Brontë.

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