Katrin Seddig: Runterkommen

27. August 2010 | von

Ja, ja, ja! Leute, es gibt da draußen so viele so tolle Bücher, es ist die wahre Pracht, lest! Lest tolle Bücher, zum Beispiel dieses hier. Es fängt so an:

Als er in seinem schwarzen Mercedes-Benz um die Ecke summt, kneift sie die Augen zusammen und umarmt den sonnenwarmen Stamm.
Mein Freund, der Baum.
Sie pult ein paar Stücke aus der weichen, moosigen Rinde und tritt vor Aufregung mit der Fußspitze gegen das Holz. Von vorn das Ploffen der Wagentür, das Knacken der Verriegelung, sie kennt sein Auto, auf dem Nummernschild seine Initialen und ein Aufkleber: Ich bremse auch für Rentner. Er streckt sich, Arme Richtung Himmel, eine unglaubliche Bläue heute, wie glühendes Metall, Flecken unter den Achseln, sein Ehering blitzt – Ehe, da war doch was – und macht dabei ein Geräusch wie ein Tier aus einem Zeichentrickfilm.

Dani steht hinter einem Baum am Waldrand und beobachtet Erik. Erik ist ein gutsituierter Anwalt mit Einfamilienhaus im Grünen, Frau und zwei Kindern. Dani ist Putzfrau und hat ein Problem. Erik hat auch Probleme, seine Frau ebenfalls, in weiteren Rollen: Tom, Karin, Doreen, Zusanna, Thomasz, Johannes und so weiter: alle haben ihre Probleme, manche eine handfeste Macke, alle wären gern ein bisschen glücklich und sind ein bisschen kaputt. Alle wollen Sex, manche haben reichlich davon, andere nicht. Die meisten trinken, manche mehr, andere weniger.
Irgendwann entdeckt Erik Dani auf ihrem Beobachtungsposten am Waldrand. Er findet es erregend, beobachtet zu werden, eine Weile lang spielen die beiden eine Art Spiel. Bis das nicht mehr gut geht und die anderen alle auf die ein oder andere Weise mit hineingezogen werden. Jeder liebt jemanden, oder auch nicht, schläft aber mit jemand anderem, oder auch nicht, deswegen passiert alles mögliche, und am Ende geht es keinem wirklich besser. Oder vielleicht dem ein oder anderen ein kleines bisschen besser, anderen ein bisschen schlechter. Oder eben auch nicht, man weiß es nicht. Wie im Leben. Und das alles wird in einer Sprache geschildert, die schnoddrig ist und schonungslos und echt und so ehrlich, dass es manchmal weh- und immer guttut, so ohne jeden Kunstwillen, und das muss man auch erstmal können, dass es so wirkt wie einfach so dahingeschrieben, weil es nun mal so ist. Und die Dialoge. Großartiges Buch.
Katrin Seddig kommt im Regal zwischen David Sedaris und Anna Seghers.

One Response to “Katrin Seddig: Runterkommen”

  1. Anselm Says:

    Die Begeisterung der Autorin überträgt sich beim Lesen der knappen Inhaltsangabe leider gar nicht auf mich. Irgendwer macht irgendwas, weil er oder sie ein bisschen unglücklich ist? Sach ma!